Migrationspolitik:Einwanderung, made in Germany

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Deutschland muss den Vergleich mit den USA oder Kanada nicht scheuen, sagen Experten. Reformbedarf sehen sie im Umgang Europas mit Flüchtlingen.

Von Jan Bielicki, München

Deutschland steht als Einwanderungsland nach Ansicht führender Experten weit besser da als öffentlich wahrgenommen. Im internationalen Vergleich habe die Bundesrepublik in vielen Bereichen ihrer Migrationspolitik "nicht nur deutlich aufgeholt, sondern reiht sich mittlerweile ein in die Riege der als fortschrittlich eingestuften Einwanderungsländer", stellt das Jahresgutachten fest, das der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration am Dienstag in Berlin vorstellte. "Wir sind besser, als wir glauben", sagte die Ratsvorsitzende Christine Langenfeld und warnte zugleich: "Das gute Abschneiden bedeutet aber nicht, dass wir uns zurücklehnen können."

Die elf Sachverständigen haben in ihrem Jahresgutachten 2015 verglichen, wie Deutschland, ausgewählte EU-Staaten und klassische Einwanderungsländer wie Kanada oder die Vereinigten Staaten die Zuwanderung regeln. Einen zentralen Teil der hiesigen Einwanderungspolitik nehmen sie von ihrem Lob jedoch ausdrücklich aus: den Umgang Europas mit Asylbewerbern und Flüchtlingen. Die immer offensichtlicher gewordenen Probleme der europäischen Asyl-und Flüchtlingspolitik machten deutlich, "dass Europa in diesem Bereich keine kleinteiligen Reparaturen benötigt, sondern eine Großreform", heißt es in dem Gutachten. Die Forscher schlagen eine komplette Neufassung der Regeln vor, nach denen Asylbewerber in den Ländern Europas Aufnahme finden. Wichtigster Punkt: Künftig sollen anerkannte Asylbewerber sich aussuchen dürfen, wo innerhalb der EU sie leben wollen.

Asylbewerber sollen sich dort niederlassen dürfen, wo sie die besten Jobchancen für sich sehen

Bislang sieht das sogenannte Dublin-Prinzip vor, dass innerhalb der EU derjenige Staat für Aufnahme und Asyl eines Flüchtlings zuständig ist, in dem dieser zuerst europäischen Boden betritt. Damit sehen sich jedoch gerade die Staaten an den südlichen EU-Außengrenzen überfordert, wo die meisten außereuropäischen Flüchtlinge nach lebensgefährlicher Fahrt über das Mittelmeer landen. Vor allem Italien haben die Forscher aus Deutschland im Verdacht, Flüchtlinge unkontrolliert in nördliche Länder weiterwandern zu lassen und damit einen "kalten Boykott von Dublin" zu betreiben. So zählte die europäische Grenzschutzbehörde Frontex 2014 an Italiens Küsten zwar 170 000 illegale Einwanderer, doch nur gut 63 000 Menschen stellten einen Asylantrag in Italien.

Nach den Vorstellungen der Sachverständigen sollen Ersteinreiseländer wie Italien zwar auch weiterhin dafür zuständig sein, Flüchtlinge aus Seenot zu retten, sie unterzubringen, ihre Asylanträge zu bearbeiten und abgelehnte Asylbewerber "konsequent" wieder heimzuschicken. Dabei sollen sie jedoch Hilfe aus den Ländern des Nordens erhalten. Vor allem aber sollen sich Flüchtlinge, sobald sie als asylberechtigt anerkannt sind, in einem EU-Land ihrer Wahl niederlassen dürfen, etwa dort, wo sie Jobchancen sehen oder wo bereits Familienangehörige leben. Davon versprechen sich die Wissenschaftler eine gerechtere Lastenverteilung innerhalb der EU: Für die Staaten des Nordens wie Deutschlands würde das bedeuten, dass sie deutlich weniger Asylverfahren als bisher durchzuführen hätten; andererseits würden mehr anerkannte Asylbewerber ins Land kommen, die jedoch Zugang zum Arbeitsmarkt und damit eine Perspektive hätten, für sich selbst zu sorgen. Eine wichtige Einschränkung machen die Forscher: Bevor ihr Modell funktioniert, müssten die Erstaufnahmestaaten die europäischen Standards für Flüchtlingsunterbringung und Asylverfahren wirklich einhalten.

Beim Zuzug von Fachkräften sehen die Sachverständigen Deutschland dagegen "sehr gut aufgestellt". In Bezug auf die rechtlichen Bedingungen für die Einwanderung von akademischen wie nichtakademischen Arbeitsuchenden gebe es für Deutschland "im Moment eher wenig zu lernen" - nicht einmal von Ländern wie Kanada oder Schweden, deren Einwanderungsregeln als vorbildlich gelten. Die Bundesrepublik müsse aber die Vermarktung ihrer "fortschrittlichen und liberalen" Regelungen verbessern und "die Botschaft in die Welt tragen, dass Deutschland ein modernes Einwanderungsland ist, dessen Türen den Talenten der Welt offenstehen", fordern die Gutachter. Kritik üben sie wiederum an Europa: Die europäische Blue Card, die Fachkräften aus Drittstaaten den Aufenthalt erlaubt, sei nur in Deutschland ein Erfolg, überall sonst jedoch "ein Flop", weil die EU-Länder zu stark auf nationalstaatliche Regelungen setzten.

Helfen im Wettbewerb um Fachkräfte würde auch die Chance, leichter als bisher an die deutsche Staatsbürgerschaft zu kommen. Das Gutachten schlägt eine "Turbo-Einbürgerung" vor, die gut integrierten Zuwanderern schon nach vier statt bisher acht Jahren einen deutschen Pass verschafft. Die Neu-Deutschen sollten auch nicht gezwungen werden, dafür ihre bisherige Staatsbürgerschaft aufzugeben. In Verhandlungen mit den Herkunftsländern solle jedoch verhindert werden, dass auch die Nachkommen der Eingebürgerten einen ausländischen Zweitpass bekommen.

Werbung für das Einwanderungsland Deutschland hält das Gutachten nicht nur nach außen für nötig, sondern gerade auch nach innen. Die Notwendigkeit von Einwanderung müsse den Deutschen "offensiv vermittelt werden", die Politik habe hier "eine Bringschuld", fordern die Forscher. Denn, so Langenfeld: "Brennende Asylheime sind ein verheerendes Signal."

© SZ vom 29.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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