Migration:"Man dachte, das geht schon"

Lesezeit: 1 min

Der Oberbürgermeister erklärt, warum Goslar prädestiniert ist, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, als es müsste.

Interview von Thomas Hahn

SZ: Herr Junk, Sie haben 2014 gefordert, der ländliche Raum sollte die Großstädte bei der Unterbringung von Flüchtlingen entlasten und die Neuankömmlinge als Chance sehen. Würden Sie die Rede heute wieder so halten?

Oliver Junk: Ja. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die Verteilung der Flüchtlinge nach Königsteiner Schlüssel - orientiert an Steueraufkommen und Einwohnerzahl - am einfachsten war, aber dennoch falsch. Mittelstädte wie Goslar sind prädestiniert, mehr Flüchtlinge aufzunehmen als sie nach dem Schlüssel müssten. Wir haben bewiesen, dass Integration funktionieren kann.

Wie ging das?

Wir haben keine sozialen Brennpunkte, keinen hohen Migrantenanteil in Kindergärten oder Grundschulen, kein Wohnraumproblem. Wir hatten den einen oder anderen Leerstand, wegen des demografischen Wandels. Private Eigentürmer haben vermietet, die Wohnungsbaugesellschaft hat geholfen und wir haben aufgepasst, dass nicht alle Flüchtlinge in einen Stadtteil kommen. Wir können Geschichten erzählen von Flüchtlingen, die in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen integriert sind und die Kindergärten durch ihr herzliches und extrem lernwilliges Wesen bereichert haben.

Wäre das überall möglich?

Erfolgreiche Flüchtlingsarbeit ist nicht abhängig vom Standort, sondern von der Haltung. Trotzdem: Es braucht eine kommunale Mindestgröße von mindestens 10 000 Einwohnern. Man kann die demografischen Probleme der ländlichen Räume nicht dadurch lösen, dass man beliebig Flüchtlinge hinschickt. Es braucht öffentlichen Nahverkehr, Kindergärten, Schulen und engagierte Menschen.

Ihr Kollege in Salzgitter hat einen Zuzugsstopp verhängt. Macht er es falsch?

Nein, Frank Klingebiel (CDU) hat das Problem, dass Salzgitter schon vorher einen hohen Migrationsanteil hatte und dabei viele Probleme noch ungelöst waren. Und genau in diese 100 000-Einwohner-Stadt hat man nach Königsteiner Schlüssel noch viel mehr Menschen geschickt als etwa nach Goslar. Klar, dass das nicht geht.

Wie konnte das so kommen?

Man hat die Augen vor dem Problem verschlossen. Die Flüchtlingswelle von 2015 war kein überraschender Tsunami. Meine Rede zur Neuverteilung ist vom November 2014, es wäre also genug Zeit gewesen. Es lag nie am Können, sondern am Wollen.

Ihre Rede kam damals nicht gut an.

Nein. Viele Bürgermeister und Landräte haben in der Flüchtlingskrise sogar als Brandbeschleuniger gewirkt, indem sie die Probleme noch größer geredet haben, als sie waren - gerade in Bayern. Sie sind aus meiner Sicht mitverantwortlich dafür, dass die AfD so stark geworden ist. Sie hätten sagen müssen: Klar ist das schwierig - aber wir kriegen das hin.

© SZ vom 31.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: