Metallindustrie:Im Osten nichts Neues

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Arbeitnehmer in Ostdeutschland müssen im Schnitt pro Woche drei Stunden länger arbeiten als ihre Kollegen im Westen. Das ist ungerecht, doch am Ende womöglich auch ein Glück.

Von Detlef Esslinger

Für die Arbeitnehmer in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie bleibt es bei einer Wochenarbeitszeit von 38 Stunden; drei Stunden mehr als im Westen. Dies ist ungerecht und doch womöglich ein Glück für sie.

Dass es ungerecht ist, ergibt sich auf den ersten Blick. Die Arbeitnehmer im Osten dürften genauso versiert sein wie ihre Kollegen im Westen; warum also sollen sie bestraft werden, dass sie in Eisenach statt in Rüsselsheim sind? Und als Strafe kann man die 38-Stunden-Woche leicht empfinden: Sie bedeutet, dass man pro Jahr einen Monat länger und aufs Leben gerechnet gar drei Jahre länger arbeiten muss als im Westen. So gesehen ist es eine Schande, dass die Gespräche zwischen der IG Metall und dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall zur 35-Stunden-Woche dort gescheitert sind.

Es ist ein Scheitern, aus dem sich Schlüsse ziehen lassen - für Tarifrunden an sich, sowie für den Osten an sich. Indem Gewerkschaft und Arbeitgeber sich wechselseitig die Schuld daran zuweisen, haben sie sogar recht: Sie haben es beide versemmelt. Inhaltlich hätten sie eine Einigung wohl geschafft. Sie stimmten überein, dass sich die Einführung der 35-Stunden-Woche über elf Jahre erstrecken soll; und dass die Firmen eine Kompensation für die Kosten dadurch sowie den Ausfall an Arbeitsvolumen brauchen.

Beide waren sich aber uneins über den Weg dorthin. Die Arbeitgeber wollten der IG Metall Formulierungen unterjubeln, die die Gewerkschaft zu Recht als juristische Trickserei empfand. Sie sorgte sich, auf diese Weise die 35-Stunden-Woche zwar auf dem Papier, aber nicht in der Realität zu bekommen. Gesamtmetall wiederum griff zu solchen Methoden, nachdem man sich in früheren Tarifrunden von der IG Metall übertölpelt fühlte. Und weil der Chef-Tarifpolitiker der Gewerkschaft neulich in einem Buch über "ein sehr unterschiedliches Niveau an Analysefähigkeit" bei dem Arbeitgeberverband gespottet, die dort Verantwortlichen also im Grunde zu Deppen erklärt hatte, musste in den vergangenen Monaten eine Arbeitsbeziehung erst wiederhergestellt werden. All dies zeigt: Ein Projekt wie die 35-Stunden-Woche kann noch so gut gemeint und geboten sein: Haben die Beteiligten kein Vertrauen zueinander, klappt es nicht.

Ohnehin bleibt die Frage, ob gut gemeint hier zugleich gut gewesen wäre. Nur vier Prozent der Metallbetriebe im Osten sind überhaupt noch tarifgebunden, dort arbeiten 17 Prozent der Beschäftigten. Abgesehen davon, dass daher das 35-Stunden-Projekt ohnehin eher symbolische als grundlegende Bedeutung hatte: Bei diesen Betrieben handelt es sich oft um verlängerte Werkbänke des Westens, sie stehen in einem besonders harten Preiswettbewerb, zumal wegen der Nähe zu Polen und Tschechien. 40 Jahre Sozialismus sind eben auch nach 30 Jahren Einheit noch ein Unglück. Wem wäre geholfen gewesen, wenn noch mehr Betriebe erklärt hätten, das Projekt sei ihnen zu teuer, und sie deshalb entweder den tarifgebundenen Arbeitgeberverband oder gleich Brandenburg verlassen hätten?

Wenn Gewerkschafter angesichts dieser Lage überhaupt Macht entwickeln wollen, geht das nur, indem sie viel mehr Beschäftigte als bisher für sich gewinnen. Wer kaum Mitglieder hat, hat auch kaum ein Mandat. Noch so ein Thema, an dem sie sich im Osten die Zähne ausbeißen.

© SZ vom 14.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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