Mali:Ungewissheit im Camp Castor

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Zuhören und nachdenken: Ministerin Ursula von der Leyen informiert sich bei einem Truppenbesuch in Mali. (Foto: Kay Nietfeld/AFP)

Nach einer Flugzeugpanne kommt Verteidigungsministerin von der Leyen doch noch in Gao im Norden Malis an. Der dortige Bundeswehr-Einsatz ist gefährlich. Unklar ist vor allem, wie lang er dauern wird.

Von Christoph Hickmann, Gao

Es ist dem Hauptmann Koehler, so sagt er das, eine besondere Ehre, die Ministerin und ihre Delegation fliegen zu dürfen. Es freue ihn, "dass wir so flexibel und schnell reagieren konnten", sagt Hauptmann Koehler und lächelt dabei so, dass man ihm seinen Stolz direkt abnimmt. Es könnte also alles in bester Ordnung sein - wäre da nicht der Umstand, dass Stephan Koehler, 61, bereits seit 1991 kein aktiver Soldat mehr ist, sondern lediglich noch Hauptmann der Reserve und dementsprechend schon lange keine Transall-Maschinen mehr durch die Gegend befördert. Stattdessen ist er Geschäftsführer der Gesellschaft "Sahel Aviation Service", kurz SAS. An diesem Montag springt er kurzfristig ein, um Ursula von der Leyen doch noch nach Mali zu bringen. Wobei er selbst nicht die Maschine mit ihr an Bord fliegt, sondern das kleinere Begleitflugzeug.

Mal wieder muss sich die Ministerin mit den Tücken des Materials herumschlagen

Am Abend zuvor hatte die Afrika-Reise der CDU-Verteidigungsministerin, begonnen am Sonntagmorgen, eine aus ihrer Sicht eher unerfreuliche Wendung genommen. Nach Terminen in der nigerianischen Hauptstadt Abuja wollte von der Leyen nach Bamako, Mali, weiterfliegen. Ministerin und Delegation hatten bereits ihre Plätze im Flugzeug eingenommen, als die Besatzung ein Computerproblem meldete. Es dauerte, man wartete, am Ende ließ es sich nicht beheben, der Regierungs-Airbus blieb am Boden. Und die Reisegruppe musste die Nacht in Abuja verbringen.

Eigentlich sollte es bei dieser Reise vor allem um die Bekämpfung der sogenannten Fluchtursachen in Afrika gehen - darum also, wie verhindert werden kann, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Mali ist eines der Haupt-Transitländer für Flüchtlinge in Afrika, hier gilt es, die Aktivität von Schleppern und Schleusern einzudämmen. In Nigeria wiederum übergab von der Leyen ein mobiles Krankenhaus, Detektoren zur Entdeckung von Sprengfallen sowie Bodensensoren für die Grenzsicherung. Doch statt ausschließlich über die großen Linien zu reden, musste von der Leyen sich dann mal wieder mit den Tücken des Materials herumschlagen.

Nun, am nächsten Morgen, geht es dann allerdings doch weiter. Aufgeteilt auf zwei Maschinen fliegt die Delegation direkt nach Gao, in den gefährlichen Norden Malis. Dort sind derzeit fast 600 deutsche Soldaten stationiert, im nächsten Jahr sollen es bis zu 1000 sein, um die Minusma-Mission der Vereinten Nationen zu unterstützen, die ein Friedensabkommen überwacht. Da deutsche Soldaten außerdem noch an einer EU-Ausbildungsmission im Süden des Landes beteiligt sind, wird Mali im nächsten Jahr größer als der Einsatz in Afghanistan sein.

Bislang tragen die Deutschen in Gao Aufklärungsergebnisse bei, kürzlich haben Drohnen des Typs Heron ihre Flüge über dem Land aufgenommen, das 2012 von Islamisten überrannt worden war. Im Frühjahr dann sollen deutsche Hubschrauber hinzukommen: vier Maschinen des Typs NH90, mit denen im Notfall Verwundete ausgeflogen werden können - und vier Kampfhubschrauber Tiger, die unter anderem zum Schutz der NH90 eingesetzt werden können. Bislang haben die Niederländer mit ihren Helikoptern die sogenannte Rettungskette sowie Kampfhubschrauber gestellt, nun sind die Deutschen dran.

Anflug auf Gao, der Niger wälzt sich breit durch die Landschaft. Im Camp Castor, nah am Flugplatz gelegen: rotbrauner Staub am Boden. Und auch hier muss sich von der Leyen bei ihrem Truppenbesuch kurz vor Weihnachten mit den üblichen Widrigkeiten herumschlagen: Wasser ist knapp im Camp, nur zwei Minuten dürfen die Soldaten duschen. Doch die Ministerin hat wie stets Generalleutnant Markus Kneip an ihrer Seite, den stellvertretenden Generalinspekteur. Der erklärt die "Selbstbeschränkung" zur soldatischen Tugend: Soldaten könnten notfalls auch "mit der Wasserflasche duschen". Demnächst soll eine Wasseraufbereitungsanlage bereit sein. Hauptmann Olaf L., Einsatzoffizier im Camp, sagt es so: "Zwei Minuten duschen ist kein Problem. Wir sind froh, dass wir überhaupt duschen können." Der Montag, sagen sie hier, ist ein eher kühler Tag. Die Temperatur liegt bei etwa 35 Grad.

Doch es gibt hier noch ganz andere, ernsthafte Sorgen. Kürzlich erst hat ein Selbstmordattentäter den Flugplatz mit Sprengstoff angegriffen, etwa 900 Meter vom Haupttor des Camps entfernt. Hinzu kam Maschinengewehrfeuer. Und die Truppe hatte noch Glück: Eine weitere Sprengladung detonierte nicht.

Immer wieder betont von der Leyen, die Beteiligung an der UN-Mission sei einer der gefährlichsten Einsätze der Bundeswehr. Nicht nur das Risiko ist hoch. Der Einsatz der Hubschrauber wird auch zur Belastung für die Truppe in der Heimat.

Um einsatzfähig zu sein, brauchen die Piloten eine bestimmte Anzahl an Flugstunden. Davon aber stehen zu wenig zur Verfügung. Um nun wenigstens die Piloten für Mali ausreichend trainieren zu können, müssen anderswo Hubschrauber-Flugstunden eingespart werden. So müssen etwa Flugschüler zum Teil auf ein ziviles Modell ausweichen - und das Zusammenkratzen der Flugstunden geht sogar so weit, dass Deutschland für den verbleibenden Rest des Jahres 2016 und das nächste Jahr seine NH90 und Tiger sowohl aus der sogenannten EU Battle Group als auch aus der Nato Response Force abgemeldet hat. Die Deutschen stehen vorerst nicht zur Verfügung, weil sie in Afrika gebunden sind.

Soldaten könnten notfalls auch "mit der Wasserflasche duschen"

Ewig wird sich das nicht durchhalten lassen - weshalb die Bundesregierung in den Verhandlungen mit den UN von Beginn an Wert darauf legte, dass die Bundeswehr auch wieder abgelöst wird. Nach jetzigem Stand sollen die deutschen Hubschrauber bis Mitte 2018 in Gao bleiben, dann sollen wieder andere ran. Viel deutet darauf hin, dass die Kanadier diese Rolle übernehmen könnten. Und die Deutschen dringen derzeit bei den UN darauf, dann auch noch weitere Kräfte abziehen zu können. Schließlich gibt es die Sorge, ähnlich wie in Afghanistan in einen Einsatz hineingezogen zu werden, der immer größer wird und nicht endet.

Und wofür das alles? Um im Zusammenspiel mit ziviler Hilfe das Land zu stabilisieren. Zur militärischen Unterstützung kommen Projekte für die Landwirtschaft, für bessere Wasserversorgung und bessere sanitäre Bedingungen. Aber, sagt von der Leyen, das alles funktioniere nicht ohne die Hilfe der malischen Politik und Gesellschaft. Und hier ist sie bislang offenbar nicht zufrieden: Man wünsche sich "mehr Aktivität", sagt sie. "Die Initiative muss aus Mali selbst heraus kommen." Manches, etwa die Entwaffnung und Eingliederung von Rebellen, laufe bislang "schleppend". Aber immerhin habe der Prozess begonnen.

Sonderlich optimistisch, dass der Einsatz schnell vorbei sein wird, klingt sie nicht. Man müsse "Geduld haben".

© SZ vom 20.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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