Madrid:Für ein spanischeres Spanien

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Von Ecken und Kanten war noch nichts zu sehen: Pablo Casado führt die konservative spanische Volkspartei (PP) in die Parlamentswahl. (Foto: Gabriel Bouys/afp)

Der konservative Spitzenkandidat Pablo Casado versucht im Wahlkampf Unvereinbares zu vereinen.

Von Thomas Urban, Madrid

Gleich an drei Prozessionen nimmt Pablo Casado teil in der Semana Santa, der Karwoche: Im traditionsreichen Ávila sowie in den andalusischen Metropolen Sevilla und Málaga. Immer weniger sind es allerdings religiöse Zeremonien der inneren Einkehr, sondern touristische Events, die ausführlich im Fernsehen übertragen werden. So erledigt Spaniens konservativer Oppositionsführer zwei Dinge auf einen Schlag: Er hat nie seinen Katholizismus verhehlt, im Gegenteil, er preist ihn als Grundlage des wahren "Spaniertums", der Hispanität, der er zu neuer Geltung verhelfen will. Und Casado ist auf den Bildschirmen des ganzen Landes präsent. Denn die Schlussphase des Wahlkampfes ist angebrochen, am Sonntag nach Ostern haben die Spanier über ein neues nationales Parlament zu befinden.

Noch vor Jahresfrist war der adrette 38-jährige Dauerlächler für die Mehrheit seiner Landsleute ein Unbekannter. Überraschend gewann er im vergangenen Juli den Mitgliederentscheid über die Nachfolge des langjährigen Vorsitzenden der Volkspartei (PP), Mariano Rajoy. Diesen hatte kurz zuvor der damalige sozialistische Oppositionsführer Pedro Sánchez per Misstrauensvotum als Regierungschef gestürzt. Nun haben sich die Rollen verkehrt: Der mit einem Minderheitskabinett regierende Sánchez will vom Wähler im Amt bestätigt werden, Casado will ihn wieder in die Opposition schicken. In Umfragen liegt zwar die Sozialistische Arbeiterpartei (Psoe) mit 30 Prozent 10 Punkte vor den Konservativen. Aber rund 40 Prozent der Wähler sind noch unentschieden.

Gegenüber Sánchez befindet sich Casado in einer denkbar schlechten Ausgangsposition: Er hatte noch nie ein wichtiges politisches Amt inne, er hat keine Erfolge im Berufsleben vorzuweisen, sondern nur eine reine Parteikarriere. Überdies wirkt er wie ein Musterschüler, ein Leichtgewicht ohne staatsmännisches Format, auch ohne Kanten und Ecken. Seinen Start als Parteichef überschatteten wochenlang Presseberichte, er habe seine Universitätsabschlüsse in Jura und Politologie nicht auf reguläre Weise erreicht. Seine Diplome seien ihm von PP-Sympathisanten unter den Professoren zugeschanzt worden. Die Untersuchungen dazu wurden allerdings eingestellt.

Die alten Skandale liefern Munition für die gesamte Konkurrenz

Nun hat Casado unter allen Spitzenkandidaten den schwersten Part, denn er kämpft an mehreren Fronten: Im rechten Parteienspektrum, das die PP früher nahezu allein ausfüllte, ist sie mittlerweile zwischen der liberalkonservativen Bürgerpartei (Ciudadanos) und der neuen nationalpopulistischen Gruppierung Vox eingeklemmt. Beide verdanken ihren Aufstieg zwei Themen: der Katalonien-Krise, bei der sich Politiker des rechten Lagers mit Vorschlägen überbieten, wie die katalanischen Separatisten zu bestrafen seien; und dann den gigantischen Korruptionsaffären, in die vor allem PP-Politiker verwickelt sind, aber auch die frühere Psoe-Spitze in Andalusien. Casado hat dafür gesorgt, dass keiner der bisherigen PP-Abgeordneten, deren Namen im Zusammenhang mit diesen Skandalen durch die Presse gingen, nun erneut kandidiert.

Doch diese Affären wiegen schwer im Wahlkampf, sie liefern allen anderen Parteien Munition. Vergangenen Mai befand ein Madrider Gericht, dass die PP ein illegales System schwarzer Kassen aufgebaut hatte. Kurz darauf brachte Sánchez im Parlament eine Mehrheit zusammen zum Sturz Rajoys. Casado muss nun beweisen, dass er für eine neue PP steht, darf aber zugleich die konservativen Stammwähler nicht verschrecken - eine kaum zu lösende Aufgabe.

Wohl deshalb hat der bisher als Kronprinz Rajoys gehandelte Alberto Núñez Feijóo, Regionalpräsident von Spaniens grüner Nordwestecke Galicien, darauf verzichtet, sich als Parteichef zu bewerben. Feijóo trug Rajoys Kurs mit, der die PP in den vergangenen Jahren kräftig zur Mitte gerückt hat. Casado hingegen setzt auf einen Rechtsruck - und riskiert damit, die Mitte freizumachen für die Psoe unter Sánchez. Gefolgsleute Rajoys haben sich deshalb zurückgezogen, viele PP-Granden warten auf Casados Scheitern.

Sicher ist, dass mit seinem Namen Stimmenverluste verbunden werden: Rajoy hatte 2016 bei den Wahlen 33 Prozent erreicht, die dürften heute für die PP in weiter Ferne liegen. Schlechten Umfragewerten zum Trotz stürzt Casado sich in die Kampagne und bombardiert seine Landsleute fast täglich mit Vorschlägen für eine konservative Wende in Spanien. Zugleich präsentiert er sich aber als modern und internetaffin: Er möchte die traditionelle Familie fördern, den Verbänden sexueller Minderheiten Staatszuschüsse kürzen; andererseits wetterte er früher gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, heute will er daran nicht mehr rütteln.

Einmal brachte er in der Kampagne eine Verschärfung des Abtreibungsrechts zur Sprache, kam aber nach heftigen Protesten nicht darauf zurück. Die Sozialisten macht er für die große Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre verantwortlich und wirft Sánchez vor, mit dem Aufblähen des öffentlichen Dienstes den Erfolg von Rajoys Kampf gegen die Rezession zu riskieren. Unerbittlich hält er dem Premier auch "Verrat an Spanien" vor, weil der mit den katalanische Separatisten verhandelt hat. Allerdings hat Casado selbst keine Lösung für die Katalonien-Krise anzubieten.

Der Großvater musste in der Franco-Diktatur ins Gefängnis. Sein Enkel ist Monarchist

Er provoziert die Linken, wenn er den Stierkampf als nationales Kulturgut und die Eroberung Lateinamerikas durch Spanien als eine der glanzvollsten Episoden der Geschichte der Menschheit preist. Gleichzeitig aber verurteilt er, ganz wie die Linken, die Franco-Diktatur als Unrechtsstaat und verweist auf seinen Großvater, einen Arzt, der als Anhänger der von Franco zerschlagenen Republik zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Der Enkel allerdings ist Monarchist. Überrascht hat Casado die Öffentlichkeit auch mit der Information, dass er sich mit dem Chef der linksalternativen Gruppierung Podemos, dem Pferdeschwanzträger Pablo Iglesias, persönlich gut verstehe. Dieser erlebte vergangenen Sommer eine schwere Zeit, weil seine zu früh geborenen Zwillinge wochenlang zwischen Leben und Tod schwebten; Casado hatte ähnliche Erfahrungen mit seinem Sohn gemacht. Es ist ein Fortschritt: Der politisch viel moderatere Rajoy hat nie privat mit dem Neomarxisten Iglesias gesprochen.

© SZ vom 18.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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