Machtkampf in China:Meister Kang gegen Teletubby

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Was nach einem Kinderscherz klingt, ist in China harte Politik: Allen Zensurversuchen zum Trotz diskutiert das Land im Internet über einen Machtkampf, den die Kommunistische Partei seit Jahren nicht erlebt hat. Ohne ulkige Spitznamen wie Teletubby, Meister Kang oder Tomate würde das aber nicht gehen.

Christoph Giesen

Sie nennen sie Teletubby, Meister Kang und Tomate. Was nach einem Kinderscherz klingt, ist harte Politik in China. Ohne die ulkigen Spitznamen könnte man derzeit im Internet nicht über Chinas Innenpolitik debattieren, denn hinter den Kulissen tobt ein Machtkampf, wie ihn Chinas Kommunistische Partei seit Jahren nicht erlebt hat. Um die Debatte im Internet zu ersticken, blockieren die Behörden rigoros die Namen der Spitzenpolitiker.

Entmachtet: Bo Xilai wurde als regionaler Parteichef geschasst. Im Internet lautet sein Tarnname "die Tomate". (Foto: AP)

Teletubby ist das Pseudonym von Chinas Premierminister Wen Jiabao. Die Fernsehserie für Kleinkinder heißt auf Chinesisch "tian xian bao bao", wobei "bao" mit dem identischen Zeichen geschrieben wird wie die letzte Silbe in Wen Jiabaos Vornamen. Meister Kang ist normalerweise eine beliebte Fertignudelmarke - inzwischen jedoch der Spitzname von Zhou Yangkang. Der 69-Jährige ist die Nummer neun in der internen Hierarchie der Partei.

Vor einigen Tagen kam im Internet das Gerücht auf, Zhou habe vergeblich versucht, sich an die Macht zu putschen. Überprüfen lässt sich das nicht. Sicher ist allerdings, dass Zhou ein politischer Freund von Bo Xilai ist, dem früheren Parteichef von Chongqing. Bo wird im Internet nur noch "die Tomate" (chinesisch: "xihongshi") genannt. Am 15. März wurde Bo vom Zentralkomitee als Parteichef abgesetzt. Wo sich Bo und seine Familie derzeit aufhalten, ist unklar.

Bis vor wenigen Wochen galt Bo als ein aussichtsreicher Kandidat für einen Sitz im Ständigen Ausschuss des Politbüros. Chinas Parteipresse hatte ihn zuvor als schärfsten Anti-Korruptionsjäger des Landes gefeiert. Seit 2009 ließ er seine Behörden massiv gegen die mächtigen Triaden in Chongqing vorgehen. In den ersten zehn Monaten nahmen Bos Leute fast 5000 Menschen fest. Zeitgleich startete er eine spät-maoistische Kampagne: Die Bürger mussten Parteilieder singen, die Stadt ließ er mit roten Fahnen beflaggen. Dem Regionalfernsehen untersagte er, Werbung auszustrahlen. Stattdessen forderte er mehr Berichte über seine "roten Kampagnen".

Seit "Tomates" Absetzung gibt es fast täglich neue Gerüchte im Internet, inzwischen kristallisieren sich aber auch die ersten Fakten heraus. Derzeit untersucht die Partei die vielgelobten Anti-Korruptionskampagnen. Verhaftete von einst werden zu Zeugen der Anklage gegen Bo. Parteiinterne Kritiker werfen Bo vor, Unschuldige verhaftet und gefoltert zu haben. Aber auch Experten im Westen kritisieren Bo scharf: "Es war roter Terror", sagte Cheng Li von der Brookings Institution der New York Times.

Der Tod eines Briten bleibt vorerst ungeklärt

Seit ein paar Tagen zirkuliert im Internet ein vorläufiger interner Prüfbericht, der Mitgliedern des Zentralkomitees ausgehändigt worden ist. In dem Bericht heißt es, die lokalen Behörden in Chongqing hätten Ende Januar damit begonnen gegen Bos Familie zu ermitteln. Demnach soll Bos treuer Gehilfe Wang Lijun mit den Ermittlungen gegen seinen Chef betraut gewesen sein. Wang war damals Vize-Bürgermeister und Polizeichef von Chongqing. Unklar ist, weshalb die Ermittlungen gegen Bo von einer regionalen Behörde betrieben werden sollten und nicht eine Einheit aus Peking mit dem Fall beauftragt wurde.

Am 3. Februar degradierte Bo seinen Polizeichef. Drei Tage später versuchte Wang, offenbar aus Angst vor Repressalien, politisches Asyl im amerikanischen Konsulat in Chengdu zu beantragen. Es heißt, er habe hochsensible Dokumente mitgebracht, die er den Diplomaten übergeben wollte. Wang übernachtete in der Vertretung, ergab sich aber dann der Polizei, die das Konsulat umstellt hatte. Ein diplomatischer Eklat konnte vorerst vermieden werden.

Seit Anfang der Woche geistert auch der Name Neil Heywood durchs Internet: Im November vergangenen Jahres starb der 41-jährige britische Staatsbürger in einem Hotel in Chongqing. Die Behörden führten damals seinen Tod auf "übermäßigen Alkoholkonsum" zurück. Eine Autopsie fand nicht statt, die Leiche wurde rasch eingeäschert. Obwohl Heywoods Freunde und Bekannte an der Todesursache Zweifel hatten, erregte der Fall kaum Aufmerksamkeit.

Heywood galt als ein Freund der Familie Bo. Er soll geholfen haben, Bos Sohn, Bo Guagua, an teueren englischen Privatschulen unterzubringen. Das Wall Street Journal berichtet nun, Wang Lijun habe ausgesagt, dass es einen Streit zwischen Bos Frau Gu Kailai und Haywood gegeben haben soll. Ob Bo etwas mit dem Tod des Engländers zu tun hat, ist damit freilich nicht belegt. London jedenfalls bat das chinesische Außenministerium, Heywoods Todesursache noch einmal gründlich zu überprüfen.

© SZ vom 28.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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