Lübcke-Prozess:Messer im Rücken

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Mit dem Messerstich in den Rücken eines irakischen Mannes will Stephan Ernst (rechts, mit seinem Verteidiger Mustafa Kaplan) nichts zu tun gehabt haben. (Foto: Thomas Lohnes/dpa)

Stephan Ernst soll nicht nur den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordet haben. Er steht auch unter der Anklage vor Gericht, auf einen Flüchtling eingestochen zu haben. Doch diese Tat bestreitet er.

Von Annette Ramelsberger, Frankfurt

Monatelang wurde im Prozess vor dem Oberlandesgericht Frankfurt der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke verhandelt. Nun wendet sich das Gericht der zweiten angeklagten Tat zu: dem Messerangriff auf einen irakischen Flüchtling, der am 6. Januar 2016 nichtsahnend auf der Straße vor der Flüchtlingsunterkunft im hessischen Ort Lohfelden entlanglief und plötzlich einen kräftigen Schlag in den Rücken spürte. Der Angreifer war auf einem Fahrrad von hinten an ihn herangefahren und hatte ihm ein Messer in den Rücken gerammt. Ohne Anlass, er rief nur etwas mit "Deutschland".

Das Opfer schaffte es noch, auf die Straße zu robben, dort wurde es von einem Autofahrer gefunden. Ein medizinischer Sachverständiger erklärte vor Gericht, wäre die Klinge nur einen Zentimeter weiter Richtung Wirbelsäule eingedrungen, hätte sie eine große Arterie getroffen. Dann wäre nicht mehr sehr viel Zeit für die Rettung des Angegriffenen gewesen.

An der mutmaßlichen Tatwaffe fanden sich DNA-Spuren

Der Mann, der diese Tat begangen haben soll, ist der Rechtsextremist Stephan Ernst, 47, der auch wegen des Mordes an Walter Lübcke vor Gericht steht. Während Ernst aber zugibt, den Politiker aus Hass wegen seiner liberalen Flüchtlingspolitik angegriffen zu haben, bestreitet er den Überfall auf den heute 27 Jahre alten Iraker. In seiner Erklärung vor Gericht hat er den Mann nur mit einem Satz erwähnt, er sagte, er habe damit nichts zu tun.

Allerdings wurde in Ernsts Haushalt nach dem Mord an Lübcke ein Messer gefunden, an dem sich noch geringe Spuren einer fremden DNA fanden. Diese Spuren erlauben es aber nicht, mit einem wissenschaftlich genauen Prozentsatz anzugeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit die DNA von Ahmed I. stammt. Allerdings hatte der Gutachter erklärt, diese DNA sei in Deutschland absolut ungewöhnlich, dafür sehr verbreitet im Irak. Der Gutachter hatte auch gesagt, nach seiner jahrzehntelangen Erfahrung sprächen die Spuren dafür, dass entweder der Iraker oder ein naher Blutsverwandter von ihm die Spuren an dem Messer verursacht hat.

Viereinhalb Zentimeter tief war die Wunde im Rücken des Opfers

Nun trägt das Gericht Mosaikstein für Mosaikstein zusammen, um zu klären, ob diese Tat dem Angeklagten Stephan Ernst mit der nötigen Gewissheit zugerechnet werden kann. Das Messer war viereinhalb Zentimeter tief in den Rücken des Flüchtlings eingedrungen und hatte Wirbelsäule und Rückenmark verletzt. Das Opfer ist bis heute von dem Überfall gezeichnet, kann höchstens zwei Stunden stehen und ist weitgehend arbeitsunfähig.

Die Bundesanwaltschaft erklärte diese Woche, ein Messerangriff wie der auf den Iraker sei dem Angeklagten Ernst "nicht wesensfremd". Das zeige ein Blick in seine Vergangenheit. Ernst hatte bereits als junger Mann einen türkischen Imam mit einem Messer von hinten angegriffen. Auch der Anwalt des Opfers, Alexander Hoffmann, erklärte, das Gutachten lasse kaum an der Täterschaft Ernsts zweifeln. Dagegen erklärte die Verteidigung von Ernst, es handele sich hier nicht um eine Identifizierung. Der verletzte Iraker wird nächste Woche aussagen.

Ernst selbst hatte in einer seiner Vernehmungen gesagt, er sei am 6. Januar wütend über die Übergriffe von Migranten auf Frauen in der Kölner Silvesternacht durch die Straßen gezogen und habe einen Ausländer angeschrien, man müsse ihm den Hals aufschneiden. Auch das ist ein Mosaikstein.

Weitere Mosaiksteine wollte das Gericht am Donnerstag noch zur Frage sammeln, ob der Mitangeklagte Markus H. etwas von der Tat seines Freundes Stephan Ernst wusste. H. war vor drei Wochen überraschend aus der Haft entlassen worden, weil das Gericht die Aussagen von Ernst nicht für belastbar hält und auch eine Zeugin beim Lügen ertappte.

Der Zeuge mag sich nicht daran erinnern, was die Polizei auf seinem Computer fand

Nun sollte ein Softwareentwickler aussagen, der lange in der rechten Szene Hessens unterwegs war, mit Stephan Ernst und Markus H. 2018 auch eine Rechtradikalen-Demo in Chemnitz besuchte und nach dem Mord an Walter Lübcke alle Chats mit H. und Ernst auf dem Messengerdienst Threema löschte.

Alexander S., 30, schlurfte in Kapuzenpulli und Jeans in den Saal und erklärte, er sei schon 2014 aus der rechten Szene ausgestiegen. Und er sei überrascht und schockiert gewesen, dass jemand, den er kannte, einen Menschen getötet haben soll. Das sei "emotional merkwürdig" gewesen, nur deswegen habe er die Chats gelöscht. Genauso geschockt wie er selbst sei auch Markus H. gewesen, den die Bundesanwaltschaft wegen "psychischer Beihilfe" zum Mord an Lübcke angeklagt hat.

Sonst konnte sich der Zeuge an nichts mehr erinnern, nicht mal daran, dass die Polizei auf seinem Computer Anleitungen zum Bau von Bomben gefunden hatte. Davon habe er aus der Zeitung erfahren, sagte der Mann. Mehr wollte er nicht dazu sagen.

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