Lübcke-Prozess:Einer, der eine Kugel verdient habe

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Der Hauptangeklagte Stephan Ernst spricht mit seinen Anwälten. (Foto: Alex Grimm / dpa)

Im Prozess um den Mord an dem Kassler Regierungspräsidenten Lübcke beantwortet der Hauptangeklagte Fragen der Familie des Ermordeten. Das bunte Leben im Haus der Lübckes habe seinen Hass noch gesteigert.

Von Matthias Drobinski, Frankfurt

Sie wollen ihnen ins Gesicht sehen, den Männern, die ihnen den Mann, den Vater genommen haben, Walter Lübcke, den Familienmenschen. Lübcke, der CDU-Regierungspräsident in Kassel war und dem es zum Verhängnis wurde, dass er 2015 für einen menschlichen Umgang mit Flüchtlingen eintrat.

Seine Söhne Jan-Hendrik und Christoph haben an diesem Verhandlungstag des Frankfurter Oberlandesgerichts Irmgard Braun-Lübcke, ihre Mutter, in die Mitte genommen. Als Nebenkläger sind sie gegenüber der Anklagebank platziert, wo Stephan Ernst sitzt, der mutmaßliche Mörder Walter Lübckes, und Markus H., der bei der Tat geholfen haben soll. Christoph Lübcke und seine Mutter schreiben mit, was Ernst sagt. Jan-Hendrik Lübcke sitzt aufrecht da und sucht die Blicke von Stephan Ernst und Markus H. Es fragt der Anwalt der Lübckes, der Frankfurter Strafrechtsprofessor Holger Matt.

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Schon Wochen vor der Tat hatten Stephan Ernst und sein Mitangeklagter geplant, den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zu töten - sagt Ernst zumindest am Freitag plötzlich vor Gericht.

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Vor drei Wochen hat Jan-Hendrik Lübcke erzählt, wie er den erschossenen Vater fand - und wie der gewaltsame Tod die Familie bis heute zerreiße. Der mutmaßliche Mörder Ernst hatte, an die Familie gewandt, gesagt: "Wenn ich Ihnen schon den Ehemann und Vater genommen habe, dann stehe ich bereit, sollten Sie Fragen haben." Ernst ist, anders als sein Mitangeklagter H., geständig. Allerdings sind auch nach der dritten Version seines Geständnisses für Gericht, Staatsanwaltschaft und Nebenklage viele Fragen offen. "Wir wollen jetzt die ganze Wahrheit wissen", sagt Holger Matt, "sind Sie dazu bereit?" "Ja" sagt Ernst, leise und mit starrem Gesicht.

"Haben Sie sich vor der Tat Gedanken gemacht, dass Sie auch der Frau und den Kindern von Walter Lübcke Leid antun?" fragt Matt. "Nein", sagt Ernst. Der Anwalt bohrt nach: "Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht, dass Walter Lübcke leben wollte, den Ruhestand genießen?" Es ist still im Verhandlungssaal, nur das Klacken einer Tastatur ist zu hören, der Protokollant tippt dem Gesagten hinterher. Ernst schweigt, flüstert mit seinem Anwalt Mustafa Kaplan, sagt dann: "Nein. Da hab' ich mir keine Gedanken gemacht."

Noch einmal geht es um die letzten Monate vor der Tat und um die Tatnacht; die Familie Lübcke will genau wissen, warum Walter Lübcke sterben musste und was geschah in den letzten Minuten seines Lebens. Und Ernst erzählt noch einmal. Durch die Bekanntschaft mit H. habe er sich radikalisiert, man habe geglaubt, dass es bald Bürgerkrieg gebe und deswegen Waffen besorgt, Schießen geübt, das Überleben im Wald trainiert. H. habe erklärt, dass die Politiker mit Hilfe der Flüchtlinge das deutsche Volk zerstören wollten, er habe einen unbändigen Hass auf Politiker entwickelt. Als dann Lübcke in einer Bürgerversammlung sagte, dass es jedem, der die Werte des Landes nicht teile, freistehe, das Land zu verlassen - da sei klar gewesen, dass man dem Mann Gewalt antun müsse.

Erst habe man geredet, wie man halt so rede: dass der Mann aufgehängt gehöre oder eine Kugel verdient habe. Das habe sich verdichtet, vor allem nach der AfD-Demonstration in Chemnitz im September 2018; im April 2019 habe der Entschluss festgestanden, Lübcke zu töten. Helfer hätten sie nicht gehabt, und dass die Vertriebenen-Funktionärin Erika Steinbach dem Video von der Bürgerversammlung Anfang 2019 zu neuer Popularität verhalf, sei für ihre Tat bedeutungslos gewesen.

Noch einmal zeigt Ernst auf den Luftbildaufnahmen, wie sich H. und er dem Haus genähert hätten. Erzählt, wie er Lübcke in den Stuhl zurückgestoßen habe, mit dem Satz: "Für so einen wie dich gehe ich jeden Tag arbeiten", und wie H. dann gesagt habe: "Zeit zum Auswandern." Das hätten sie sich vorher so überlegt. Geschossen habe er, als Lübcke sich zu H. hingewandt hatte. In Richtung Kopf.

Man sieht die Fotos der Spurensicherung, die Stühle, auf denen Stunden zuvor Lübckes Besuch saß, ein befreundeter Pfarrer. Das bunte Leben im Haus der Lübckes habe seinen Hass noch gesteigert, hat Ernst gesagt. "Ist, was Sie uns erzählt haben, die Wahrheit?" fragt Anwalt Matt. "Ja", sagt Ernst.

© SZ vom 20.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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