Lobbyismus:Stadtführer mit Gruseleffekt

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Der Verein LobbyControl hat einen Berlin-Führer besonderer Art herausgebracht. Wer die Touren abläuft, hat danach ein ganz neues Bild von Deutschland.

Es sind die, die man nicht sieht. Die nicht vor Fernsehkameras stehen, die sich lieber in Hinterzimmern treffen: Lobbyisten. Schätzungsweise 5000 von ihnen schwirren in Berlin herum, als Diener ihrer Herren und knallharte Interessenvertreter. Der Kölner Verein LobbyControl hat jetzt einen Stadtführer der besonderen Art herausgebracht: "Lobbyplanet Berlin - Der Reiseführer durch den Lobbydschungel".

Klicken Sie auf die Karte um in die Großansicht zu gelangen. (Foto: Karte: Janek Jonas/ LobbyControl)

Auf 168 Seiten werden verschiedene Routen durch den Lobbydschungel beschrieben, vorbei an den Vertretungen von Rüstungskonzernen, der Pharmaindustrie oder den beliebten Treffpunkten in der Hauptstadt. Da kann einem schon mulmig werden, wenn man erfährt, mit welchen Mitteln Lobbyisten vorgehen.

Wir haben sechs Beispiele herausgepickt, die Sie auch auf der Karte finden. Wenn Sie auf die Grafik klicken, erscheint eine Großansicht.

(1) Der Verband der Chemischen Industrie (VCI)

Das Büro in der Neustädtischen Kirchstraße 8 nennt sich schlicht "VCI -Verbindungsstelle zu Parlament und Bundesregierung". Sieben Mitarbeiterinnen arbeiten hier laut LobbyControl als "langer Arm der Hauptstelle des VCI" in Frankfurt am Main mit ihren gut 130 Mitarbeitern. Der VCI vertritt die Interessen von über 1600 Mitgliedsunternehmen, darunter BASF und Bayer. Laut LobbyControl nutzt der VCI das Netz seiner Mitglieder, um über lokale Unternehmen "dezentral auf die Bundestagsabgeordneten in den jeweiligen Wahlkreisen Einfluss zu nehmen".

Der VCI soll alle zwei Monate die hauseigenen Lobbyisten der Mitgliedsunternehmen zum Frühstück versammeln, um Informationen auszutauschen und die Arbeit zu koordinieren, heißt es im Lobby-Stadtführer. Zu dem Treffen kämen auch der Leiter des Chemie-Referats im Bundeswirtschaftsministerium und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), die enge Beziehungen zur Unternehmensseite pflegte.

Der VCI betreibe zudem eine "strategische Personalpolitik". Leute mit Potential und Ambitionen sollten eine Zeitlang im Lobbybereich des VCI arbeiten, bevor sie in die Politik wechselten. Friedrich Merz etwa gehörte zum Mitarbeiterstab des VCI. Ähnliches wird Helmut Kohl nachgesagt.

(2) WilmerHale

Die Berliner Dependance der Anwaltsozietät WilmerHale findet sich im Internationalen Handelszentrum. Weltweit beschäftigt die Sozietät 1000 Rechtsanwälte. Berlin ist mit gut 50 Anwälten der größte europäische Standort. Zu den Klienten von WilmerHale gehören multinationale Konzerne wie Bayer, Boeing, die Citigroup, die Deutsche Bank, die Pleite-Bank Lehman Brothers und Lufthansa.

WilmerHale habe sich auf die "Beratung an der Schnittstelle von Recht, Wirtschaft und Politik" spezialisiert. Dazu gehört auch Lobbying. Die Deutsche Telekom engagierte WilmerHale beispielsweise in der politischen Auseinandersetzung um die Übernahme der US-amerikanischen Firma Voicestream in den Jahren 2000 und 2001. Laut dem US-Lobbyregister gab WilmerHale damals im Auftrag der Deutschen Telekom 1,4 Millionen Dollar für politische Einflussnahme in Washington aus. In Deutschland gibt es kein verpflichtendes Transparenzregister und damit keine vergleichbaren Zahlen.

Auf seiner deutschen Webseite wirbt WilmerHale: "Viele unserer Anwälte haben in Regierungsfunktionen, in der Verwaltung oder bei Unternehmen vertieften Einblick in einzelne Industrien und deren administrative Prozesse gewonnen." Der internationalen Praxisgruppe Legal Strategy und Public Policy gehören laut LobbyControl etwa der ehemalige EU-Kommissar David Byrne, der langjährige Generaldirektor der Europäischen Kommission, Claus-Dieter Ehlermann, sowie der ehemalige Bundesminister für Verkehr und für Forschung und Technologie, Matthias Wissmann, an.

(4) Informationsforum RFID

Hinter der sandsteinfarbenen Fassade des denkmalgeschützten Gebäudes in der Dorotheenstraße 37 sitzt das Informationsforum RFID. Es versteht sich selbst als "unabhängige Plattform für einen Dialog zwischen Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien sowie Verbrauchern". Nach Angaben von LobbyControl besteht die Plattform allerdings ausschließlich aus Konzernen, die am Einsatz der neuen Funk-Technik interessiert sind.

Die von jeder externen Stromversorgung unabhängigen RFID-Chips können ihre Informationen über mehrere Meter hinweg versenden. Damit könnte etwa ein ganzer Einkaufswagen voll mit Produkten im Vorbeigehen abkassiert werden. An den Chips sind vor allem Handels- und Konsumgüterunternehmen interessiert wie DHL, Henkel, IBM, Metro Group, Oracle, Philips, Procter & Gamble, SAP, Siemens, T-Systems und Volkswagen.

Datenschützer warnen vor dem "gläsernen Konsumenten" und grenzenlosen Kontrollmöglichkeiten. Das Informationsforum RFID versorgt die Presse dagegen mit - aus ihrer Sicht - "objektiven" Informationen. Das Informationsforum RFID verkörpert einen neuen Lobby-Trend: Unternehmen schließen sich zu Allianzen zusammen, die sich für begrenzte Zeit auf ein begrenztes Thema konzentriert.

(6) EUTOP

In namhafter Nachbarschaft: Die Berliner Repräsentanz der Lobby-Firma EUTOP Unter den Linden. (Foto: Foto: Das Gupta)

Neben dem ZDF findet sich im Zollernhof an der Straße Unter den Linden mit Eutop auch eine reine Lobbyagentur. Eutop arbeitet gerne im Verborgenen und fällt nicht mit großen PR-Kampagnen auf. Das Unternehmen verfügt über Repräsentanzen in Berlin, Brüssel, München, New York, Paris, Peking, Tokio und Wien.

Schwerpunkt ist die Vertretung der Kundeninteressen gegenüber den EU-Institutionen in Brüssel und in den EU-Mitgliedsstaaten. Gründer und Geschäftsführer Klemens Joos kommt aus dem CSU-Umfeld und gehörte früher dem Vorstand der Jungen Union in Bayern an. Die Agentur gilt als eher konservativ und gut vernetzt in der Union. Ende der neunziger Jahre spendete Eutop laut LobbyControl 110.000 Euro an die CDU und 58.000 Euro an die CSU. Über die Kunden ist nur wenig bekannt: Dazu gehören sollen die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), die Deutsche Telekom - und Porsche.

Im Dezember 2007 bestätigte ein Sprecher des Stuttgarter Sportwagen-Herstellers auf Anfrage von sueddeutsche.de, dass der Konzern die Dienste der Lobbyisten-Firma in Anspruch genommen habe: "Porsche hat sehr gute Erfahrungen mit Eutop gemacht", hieß es damals.

(7) Café Einstein

Wer nach einem Bummel über den Prachtboulevard Unter den Linden einen Kaffee trinken und dafür auch gerne mehr als drei Euro ausgeben will, dem sei das Café Einstein empfohlen. Hier lässt sich Lobbyismus live beobachten. Das Café mitten im Regierungsviertel ist Anlaufpunkt für Politiker vom Abgeordneten bis zum Minister, für Journalisten und Lobbyisten.

Das Einstein ist ein halböffentlicher Ort. Wer sich hier trifft, so heißt es, möchte gesehen werden - oder hat zumindest nichts dagegen. Vertrauliche Absprachen finden woanders statt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Fenster im hinteren Teil des Cafés auch als Türen und Notausgang genutzt werden können, wenn man den Vordereingang meiden möchte.

(19) EADS

Der deutsch-französische Misch-Konzern residiert im Kolhoff-Tower am Potsdamer Platz 1. EADS ist eine der ersten Adressen in der Luft- und Raumfahrt und im Rüstungsgeschäft. Unter anderem gehört Airbus zu EADS. Produkte der Rüstungssparte sind etwa militärische Transport- und Tankflugzeuge, der Kampfjet Eurofighter, Hubschrauber, Raketen und Artillerie sowie Verteidigungs- und Kommunikationssysteme.

EADS ist auch der größte Anteilseigner von MBDA, das Lenkwaffen und auch Streumunition herstellt. Der Gesamtumsatz von EADS betrug im Geschäftsjahr 2007 rund 39 Milliarden Euro. Der Rüstungsbereich hat laut Unternehmensangaben daran einen Anteil von etwa 20 Prozent.

Für die eigene Lobbyarbeit engagierte EADS jüngst den SPD-Abgeordneten Dietmar Staffelt. Von Januar 2009 an soll er der neue EADS-Cheflobbyist werden und wird dann sein Bundestagsmandat niederlegen. Mit Staffelt holt sich EADS gute Kontakte und einschlägige politische Erfahrungen. Staffelt war bis 2005 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt. Im Bundestag saß er danach im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten und als stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie.

Das Buch "Lobbyplanet Berlin - Der Reiseführer durch den Lobbydschungel" kostet 7,50 Euro und kann direkt bei LobbyControl bestellt werden. Adresse: LobbyControl e.V., Friedrichstraße 63, 50676 Köln. Oder unter www.lobbycontrol.de

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