Liberia:"Ohne Frieden haben wir kein Zuhause"

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Millionen Menschen sind in Liberia seit Jahren auf der Flucht. In den Notunterkünften herrschen chaotische Zustände. Es gibt nicht genügend Lebensmittel, die sanitären Einrichtungen sind katastrophal. Jede Woche werden rund 350 Cholera-Fälle gemeldet.

Auf dem Gelände der US-Botschaft in Monrovia stehen überall Zelte von Flüchtlingen. Kirchen und Schulen in der Innenstadt sind ebenso voll belegt wie das große Stadion.

Angesichts heftiger Kämpfe um die liberianische Hauptstadt sucht die Zivilbevölkerung Zuflucht, wo immer sie diese zu finden meint. Für viele ist ihr jetziges provisorisches Lager bereits die zehnte Station auf ihrer jahrelangen Flucht von den Fronten der Bürgerkriegsparteien.

"Wo sollen wir jetzt noch hingehen?" Fragt Paul Digen, ein Lehrer aus dem Norden Liberias. "Ohne Frieden haben wir kein Zuhause."

Hilfsorganisationen zufolge sind in den 14 Jahren des Bürgerkriegs praktisch alle Liberianer schon einmal auf der Flucht gewesen. Ungefähr die Hälfte der Bevölkerung des westafrikanischen Landes lebt zurzeit dicht zusammengedrängt in Monrovia, das bis vor kurzem noch als sicherer Ort galt.

Nun aber drohen die Flüchtlinge auch hier zwischen die Fronten zu geraten, während die Zustände in ihren Notunterkünften immer chaotischer werden. Es gibt nicht genügend Lebensmittel, die sanitären Einrichtungen sind katastrophal. Zur weiteren Verschlechterung der Lage tragen die heftigen Regenfälle des tropischen Sommers bei.

In diesem feuchtheißen Klima gedeihen Krankheitserreger. Die infolge von Mangelernährung geschwächten Menschen sind extrem anfällig. Jede Woche werden allein rund 350 Cholera-Fälle gemeldet.

Und nun müssen die überforderten Ärzte auch noch die zivilen Opfer der jüngsten Kämpfe in der Hauptstadt versorgen. "Ich weiß wirklich nicht, wie wir das alles schaffen solle", klagt der medizinische Leiter des John-F.-Kennedy-Krankenhauses, Mohammed Sheriff.

Dort wurde am Montag etwa eine junge Mutter eingeliefert, die bei dem Mörserbeschuss ihres Wohnhauses schwere Brustverletzungen davon trug. Ihr fünf Monate alter Sohn schreit ununterbrochen, doch sie kann ihn nicht mehr füttern. Im Rücken des Säuglings stecken Granatsplitter. Der Ehemann und Vater ist verzweifelt. Er hat bereits die Leiches seines Schwagers aus den Trümmern des Hauses gezogen, nun bangt er um das Überleben seiner engsten Angehörigen.

Ein Stück Normalität bewahren

Im Samuel-Doe-Stadion - benannt nach dem früheren Staatschef, der 1990 von Anhängern des jetzigen Präsidenten Charles Taylor brutal ermordet wurde - versucht der Lehrer Digen sich ein Stück Normalität zu bewahren.

Er hat beim Rebellenangriff auf seine letzte Schule am Stadtrand von Monrovia die Testarbeiten seiner Klasse retten können und hat sie inzwischen fertig korrigiert. Neben seinem Lagerplatz hat er etwas Gemüse angebaut, mit dem er seiner Familie auszuhelfen hofft. Sein Bruder wurde schon vor Jahren von Rebellen zu Tode geprügelt, seine Schwester starb unlängst an Cholera.

Digen fordert die USA auf, endlich Truppen zur Beendigung der Kämpfe zu schicken. "Unsere Großväter und Urgroßväter haben viele Jahre auf amerikanischen Plantagen gearbeitet", begründet er sein Anliegen. "Warum lassen sie uns jetzt im Stich?" Viele Einwohner Liberias, das 1847 von befreiten Sklaven aus den USA als erstes unabhängiges afrikanisches Land der Postkolonialzeit gegründet wurde, argumentieren genau so.

Aus diesem Grund suchen viele Menschen zurzeit auch verstärkt auf dem Botschaftsgelände und in den Wohnvierteln von US-Diplomaten Zuflucht. Sie wollen diesen Standort erst räumen, wenn endlich eine amerikanische Friedenstruppe in Liberia eintrifft. Diese aber lässt auf sich warten.

"Riskant ist es überall", sagte die 36-jährige Barbara Williams, die mit ihren fünf Kindern in einen Raketenangriff geriet, als sie gerade ihr Zelt aufstellen wollte. Auch sie will im Bereich der US-Botschaft bleiben. Immerhin haben die USA bereits Truppen zum Schutz ihrer diplomatischen Vertretung nach Monrovia entsandt. Die Bewohner hat dies allerdings zutiefst verärgert, denn sie wollen eine Friedenstruppe, die sie wirksam schützen kann.

"Immer wenn wir uns gerade mal irgendwo niederlassen, holen uns die Kämpfe wieder ein", klagt die 24-jährige Kula Gbelly, die ihre halbes Leben auf der Flucht verbracht hat. Und stellvertretend für praktisch alle Liberianer fügt sie hinzu: "Wir haben absolut genug davon."

(sueddeutsche.de/AP/Alexandra Zavis)

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