Letzte Sitzung vor der Sommerpause:Bundesrat billigt neue Atommüll-Endlagersuche

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Ein Endlager für Atommüll wird künftig deutschlandweit gesucht, auch der Weg für den europäischen Fiskalpakt ist frei. Die Milliarden für die Opfer des Hochwassers sollen bald fließen. Diese und weitere Entscheidungen des Bundesrats im Überblick.

In der letzten Sitzung vor der Sommerpause arbeitet der Bundesrat ein umfangreiches Programm ab. Fast 90 Punkte stehen auf der Tagesordnung, darunter sind zahlreiche Gesetzesbeschlüsse. Die Ländervertreter stimmen unter anderem über Themen wie den europäischen Fiskalpakt, die Flensburger Punktedatei und das Endlagersuchgesetz ab. Die Entscheidungen des Bundesrates im Überblick.

  • Doppelte Staatsbürgerschaft: Die von SPD und Grünen geführten Länder haben im Bundesrat einen neuen Anlauf für doppelte Staatsbürgerschaften gestartet. Die Länderkammer votierte für eine Gesetzesinitiative mehrerer Länder, in denen SPD, Grüne und Linke regieren. Sie wollen doppelte Staatsbürgerschaften in Deutschland generell zulassen und das sogenannte Optionsmodell abschaffen. Bislang werden hier geborene Kinder von Ausländern zwar zu Deutschen und behalten zunächst die Staatsangehörigkeit der Eltern. Zwischen ihrem 18. und 23. Lebensjahr müssen sie aber eine ihrer Staatsangehörigkeiten aufgeben. Betroffen sind vor allem junge Türken. Lediglich Menschen aus bestimmten Ländern wie EU-Staaten oder Brasilien haben bisher die Möglichkeit auf einen Doppelpass. Die Bundesländer wollen ihren Vorstoß nun ins Parlament einbringen. Aussicht auf Erfolg hat die Initiative dort vorerst nicht. Denn im Bundestag haben Union und FDP die Mehrheit.
  • Atommüll-Endlagerung: Nach über 35 Jahren Konzentration auf den Salzstock Gorleben wird nach einem Atommüll-Endlager künftig deutschlandweit gesucht. Der Bundesrat machte den Weg für ein Standortauswahlgesetz frei, mit dem Alternativen zu Gorleben geprüft werden sollen. Eine aus 33 Mitgliedern bestehende Bund-Länder-Kommission soll bis Ende 2015 Grundlagen und Kriterien für die Suche empfehlen. Ende 2031 soll der Endlagerstandort bestimmt und von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Die Kosten der Suche werden auf über zwei Milliarden Euro geschätzt und müssen von den Energiekonzernen getragen werden. "Das ist wahrlich ein historischer Akt", sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).
  • Milliardenhilfen für Flutopfer: Der Bundesrat stimmt den vom Bund und den Bundesländern eilig bereitgestellten Hilfen für Betroffene der Flutkatastrophe im Mai und Juni zu. Der Sonderfonds "Aufbauhilfe" wird mit acht Milliarden Euro ausgestattet und soll Privatleuten, Unternehmen und Kommunen bei der Beseitigung der Schäden unterstützen, insofern sie nicht durch Versicherungen abgedeckt sind. Der Fonds wird vom Bund vorfinanziert, der dafür seine Neuverschuldung in diesem Jahr um acht Milliarden Euro erhöht. Für die Schäden an Autobahnen und an anderer Infrastruktur des Bundes muss er selbst aufkommen, von den restlichen Kosten in Höhe von 6,5 Milliarden Euro übernehmen die Länder die Hälfte.
  • Mehr Haushaltsdisziplin: Der europäische Fiskalvertrag kann in Deutschland in Kraft treten. Der Bundesrat verabschiedete die Vorlage einstimmig und machte damit den Weg frei für dessen Umsetzung in nationales Recht. Der Verabschiedung im Bundesrat waren mehrmonatige Verhandlungen zwischen Bund und Ländern vorangegangen. Die Länder erhalten nun im Gegenzug für die Zustimmung weitere finanzielle Hilfen vom Bund. Der Kompromiss sieht vor, dass der Bund den Ländern bis 2019 jährlich 2,6 Milliarden Euro Zuschüsse für Infrastruktur-, Wohnungs- und Hochschulbauprojekte zahlt. Der Fiskalvertrag verpflichtet die Unterzeichnerstaaten auf strikte nationale Schuldenregeln. Demnach darf das strukturelle Defizit - also bereinigt um Einmaleffekte und Konjunktureinflüsse - 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen. Deutschland erfüllt diese Bedingung bereits.
  • Schärfere Vorgaben bei Managerboni und Eigenkapital europäischer Banken gelten künftig auch in Deutschland. Damit werden nicht nur Bonuszahlungen eingedämmt. Umgesetzt werden auch die "Basel III" genannten strengeren Anforderungen an das Eigenkapital von Banken in Europa. Sie gelten ab 2014. Geregelt wird zudem die Haftung ländergestützter "Bad Banks" für faule Kredite ehemaliger Landesbanken. Die Länder hatten durchgesetzt, dass sie bei Banken-Abwicklungsanstalten die gleichen Bedingungen erhalten wie der Bund. So können sie unter anderem bei Refinanzierungskosten sparen.
  • Der Gang vor Gericht wird teurer: Der Bundesrat billigte eine Anhebung verschiedener Gerichtsgebühren. Diese hängen vom Streitwert eines Verfahrens ab und müssen zunächst vom Kläger bezahlt werden, letztlich trägt sie die unterliegende Prozesspartei. Es geht dabei auch um die Honorare für Rechtsanwälte, Notare, Sachverständige und Dolmetscher, die seit Jahren und zum Teil seit Jahrzehnten nicht erhöht wurden. Zugleich wurden die ursprünglich geplanten Einschränkungen bei der Prozesskostenhilfe weitgehend gestoppt. Die Prozesskostenhilfe ist eine finanzielle Unterstützung für einkommensschwache Menschen, die vor Gericht ziehen. Anfänglich war vorgesehen gewesen, die Freibeträge zu senken, oberhalb derer die gewährten Hilfen zumindest teilweise zurückgezahlt werden müssen. Das entfällt jedoch größtenteils.
  • Die Reform des Punktesystems für Verkehrssünder ist endgültig beschlossene Sache. Anstelle der jetzigen Skala von ein bis sieben Punkten gibt es demnach künftig je nach Schwere des Vergehens ein, zwei oder drei Punkte. Der Führerschein wird dann allerdings bei acht statt wie bisher bei 18 Punkten entzogen. Anders als ursprünglich geplant, bleibt eine Möglichkeit erhalten, über freiwillige Schulungen einen Punkt innerhalb von fünf Jahren abzubauen. Gespeicherte Punkte sollen künftig jeweils separat verjähren. In Kraft treten sollen die Neuregelungen zum 1. Mai 2014.
  • Akku- oder Batterielampen für Fahrräder: Neben herkömmlichen Dynamo-Lichtern dürfen Fahrradfahrer künftig auch mit Akku- oder Batterielampen unterwegs sein. Diese gewährleisten demnach das gleiche Sicherheitsniveau, zumal ihr Licht auch bei langsamem Fahren und im Stehen gleichmäßig hell ist. Bisher sind Lichtmaschinen, also Dynamos, Pflicht. Viele Radler sind aber schon mit Akku-Lampen unterwegs. Ihnen drohen daher streng genommen bisher Geldbußen. Die Wahlfreiheit soll eine "höhere Akzeptanz" für Akku- und Batterielampen aufgreifen, da sie "keine fahrdynamisch wirksamen Leistungsverluste" bewirken und bei jedem Wetter funktionieren.
  • Der massenhafte Antibiotika-Einsatz in der Tiermast soll mit strengeren Regeln stärker eingedämmt werden. Mit der Novelle, die Anfang 2014 in Kraft treten soll, bekommen die Überwachungsbehörden der Länder mehr Kontrollbefugnisse. Dafür soll es künftig eine bundesweite Datenbank geben. Eingeführt werden soll ein System, das Behandlungshäufigkeiten misst und vergleichbar macht. Daraus folgend sollen Maßnahmen für einen geringeren Antibiotika-Einsatz angeordnet werden können. Laut Studien werden vor allem bei Geflügel und Schweinen große Mengen Antibiotika verwendet. Der Einsatz soll generell sinken, um die Gefahr zu verringern, dass Antibiotika auch bei kranken Menschen nicht mehr wirken.
  • Vertrauliche Geburt: Mütter in Notlagen können künftig ihr Kind unter einem Pseudonym zur Welt bringen. Das Kind wird in der Regel zur Adoption freigegeben, mit Vollendung des 16. Lebensjahres hat es allerdings das Recht, die Identität seiner Mutter zu erfahren.
  • Genitalverstümmelung: Die Verstümmelung weiblicher Genitalien kann künftig mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Der Bundesrat billigte die Schaffung eines eigenen Strafrechtsparagraphen gegen Genitalverstümmelung. Der schmerzhafte Ritus wird vor allem in afrikanischen und muslimischen Kulturen praktiziert.
  • Entlastung überschuldeter Versicherter: Mitglieder der gesetzlichen Krankenkasse, die wegen Notlagen mit ihren Beiträgen im Rückstand sind, können auf Entlastung hoffen. Der Bundesrat ließ ein Gesetz passieren, wonach der Säumniszuschlag von monatlich fünf Prozent auf ein Prozent verringert wird. Zudem sollen Schulden teilweise erlassen werden können.
  • Europäischer Fiskalvertrag: Mit der Zustimmung des Bundesrats kann der europäische Fiskalvertrag in Deutschland umgesetzt werden. Der Vertrag verpflichtet die EU-Unterzeichnerstaaten zu strikten nationalen Schuldenregeln.
  • Eigene Initiativen des Bundesrats: Außerdem überwies der Bundesrat zwei Entwürfe zur Bekämpfung des Menschenhandels und zur Beschleunigung von Maßnahmen zum Hochwasserschutz in die Ausschüsse. In weiteren Entschließungstexten geht es um besseren Datenschutz für Arbeitnehmer, den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit und bessere Bildungschancen.
  • Ein Gesetz, das mehr Wettbewerb im Bahnverkehr gewährleisten sollte, ließ der Bundesrat durchfallen. Nachdem es im Vermittlungsausschuss keine Verständigung gab, fand das vom Bundestag beschlossene Gesetz keine Mehrheit. Vorgesehen war, dass Gebühren, die die bundeseigene Deutsche Bahn als Betreiber des Gleisnetzes von Bahnunternehmen erhebt, vorab von der Bundesnetzagentur genehmigt werden sollten. Auf Bahnhöfen sollten Bahn-Konkurrenten einen Anspruch auf Flächen zum Fahrscheinverkauf bekommen. Im deutschen Bahnverkehr gibt es derzeit etwa 350 Mitbewerber der DB, überwiegend im Güter- und Regionalverkehr.
© Süddeutsche.de/AFP/dpa/jasch/sks - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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