Laura Dekker:Kinder brauchen Abenteuer

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Die Grenzen von Sorgerecht und Sorgepflicht - und verbotene Kinderarbeit: Der Fall der 13-jährigen Laura Dekker, der die Weltumseglung von einem Gericht vorerst untersagt wurde.

Heribert Prantl

Laura Dekker ist 13 und will allein die Welt umsegeln. Das ist sehr in Ordnung. Kinder und Jugendliche müssen so etwas wollen: Wüsten durchqueren, Achttausender besteigen, Welt umsegeln.

Laura Dekker will die Welt umsegeln. Ein Gericht hat es untersagt. (Foto: Foto: dpa)

Sie müssen mehr wollen als sie können, weil sie so erfahren, was sie können. Man muss ihnen da mit peniblen Kategorien allgemeiner Vernunft nicht kommen: Sie müssen sich ausprobieren, sie brauchen Abenteuer - und sie müssen dabei ihre Grenzen entdecken. Das passiert nicht vor der Glotze, das passiert nicht bei Computerspielen.

Aber das Entdecken der Grenzen funktioniert auf dem Hausberg besser als auf dem Mount Everest, und im Bodensee besser als bei der Weltumseglung - weil die Grenzen, die dort zu entdecken wären, womöglich die letzten, nämlich die mortalen sind. Risikokompetenz hilft nichts mehr, wenn man tot ist. Die Entscheidung des Utrechter Gerichts, den Eltern für zwei Monate das Aufenthaltbestimmungsrecht zu nehmen, ist daher verantwortungsvoll. Im Übrigen: Das "age requirement" für den "yachtmaster" (das englische Seerecht wird überall auf der Welt akzeptiert) ist 16. Wer jünger ist, darf allein kein Boot auf offener See führen.

Das Problem im Fall der Laura Dekker ist nicht, dass das Mädchen die Welt umsegeln will, sondern dass ihre Eltern ihr das erlauben - ja sie offenbar darin bestärken, ja sie in ihr Boot und in eine zweijährige Isolation hineintreiben. Da addieren sich kindliche Abenteuerlust und elterliche Ruhmsucht - Vater und Mutter der jüngsten Weltumseglerin der Geschichte zu sein, mit allen Verdienstquellen, die sich daraus für Eltern und Tochter ergeben.

Über solche elterliche Ruhmsucht muss man sich nicht unbedingt erheben, weil die Leistungsmanie, mit der viele Mittelstandseltern ihre Kinder durch Schule, Klavier- und Ballettunterricht jagen, auch solchen Wurzeln entspringt. Aber der Fall Dekker, der weltweit für Aufsehen sorgt, gibt Anlass, über die Grenzen des Sorgerechts nachzudenken - ohne dass daraus ein Plädoyer für den Staat als Obererziehungsrat wird.

Man redet gern vom "Vater Staat": Das ist ein gefährlicher Begriff, wenn damit gesagt werden soll, dass der Staat besser weiß als die Eltern, was für die Kinder gut ist. Vater ist der Vater, Mutter ist die Mutter - und nicht irgendjemand vom Jugendamt.

Nur in krassen Fällen darf und muss der Staat eingreifen: Wenn Kinder verwahrlosen, wenn Gefahr für Leib und Leben besteht, und wenn das elterliche Sorgerecht so ausgeübt wird, dass die Gesetze verletzt werden. Die Schulpflicht gehört zu den wenigen generellen Einschränkungen, die es hier gibt. Eltern können ihren Kindern viel erlauben, nicht aber, die Schule zu schwänzen und zwei Jahre lang vermeintlich besserem Tun nachzugehen.

Das Elternrecht, wie es in den Verfassungen fast aller Staaten garantiert wird, beruht auf dem Grundsatz, dass in aller Regel den Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution. Das Elternrecht ist daher ein Freiheitsrecht und gewährt ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, soweit diese nicht durch das staatliche Wächteramt gedeckt sind.

So hat das in Deutschland das Bundesverfassungsgericht formuliert. Ein völlig autonomes und ausschließliches Erziehungsrecht wird den Eltern allerdings nicht verbürgt: Elternrecht ist Grundrecht und Grundpflicht zugleich.

Das elterliche Sorgerecht ist ein dienendes Grundrecht - das bedeutet aber nicht, dass es der Sucht der Eltern nach Ruhm, Ehre und dem Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde dient. Im Zweifel steht das Kindeswohl daher über dem Elternrecht. Das hat Bedeutung für die Vernachlässigungsfälle, wie sie in jüngster Zeit Aufsehen erregt haben.

Das hat Bedeutung auch für die Fälle, in denen den Kindern Gefahren für Leib und Leben drohen. Der Fall der Laura Dekker ist genau besehen ein Fall der verbotenen Kinderarbeit. Das Gericht in Utrecht hat diese Kinderarbeit untersagt.

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