Um 13 Uhr Ortszeit ist die Situation in der Haftanstalt Los Llanos eskaliert. Das Gefängnis liegt im Südwesten von Venezuela, gebaut wurde es für 750 Insassen, Experten gehen davon aus, dass mindestens 2500 Menschen in Los Llanos eingesperrt sind. Die Lage war also bereits angespannt, als am Freitag offene Kämpfe ausbrachen zwischen Häftlingen und dem Sicherheitspersonal. Mit teilweise selbstgebauten Waffen griffen die Insassen Wärter und Polizisten an, ein Beamter wurde durch eine Granate getötet, der Direktor mit schweren Stichverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Am Ende schossen die Sicherheitskräfte den Aufstand wohl nieder. Fotos aus dem Gefängnis sollen aufgereihte und blutüberströmte Körper von Häftlingen zeigen. Beobachter sprechen von 47 Toten und mehr als 70 Verletzten, offizielle Zahlen aber gibt es nicht. Die venezolanische Regierung sagt, Grund für den Aufstand sei ein Fluchtversuch gewesen, Menschenrechtsorganisationen zufolge haben Hunger und das Coronavirus zu dem Aufstand geführt. Es wäre nicht das erste Mal.
Denn während in Europa die Ausgangsbeschränkungen vorsichtig wieder gelöst werden, steht den meisten Ländern Lateinamerikas der große Ausbruch erst noch bevor. Und während das Virus sich immer weiter ausbreitet, wirkt es wie ein Brandbeschleuniger für die Probleme, unter denen die Region schon seit Langem leidet: Soziale Ungleichheit, riesige Slums, aber eben auch chronisch überbelegte und unterfinanzierte Haftanstalten.
Von Mexiko bis Feuerland werden Häftlinge seit oftmals Jahrzehnten in viel zu kleinen Zellen mit viel zu vielen Mitinsassen eingepfercht. Körperlicher Abstand und Selbstisolation seien unter solchen Bedingungen praktisch unmöglich, sagte zuletzt auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet. Die hygienischen Bedingungen sind prekär, dazu hat der Staat meist auch schon lange die Kontrolle über die Einrichtungen verloren.
Das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen, selbst Särge werden knapp
Gangs regeln das Leben, die Lage war auch so schon explosiv genug. Immer wieder kam es zu Revolten in Haftanstalten. Covid-19 aber hat nun zu einer regelrechten Welle von Häftlingsaufständen geführt.
In Perus Hauptstadt Lima starben vergangene Woche neun Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen Insassen und Gefängnispersonal. Entzündet hatten sich die Kämpfe wohl am Tod zweier Häftlinge an Covid-19. Auch hier war die Einrichtung vollkommen überbelegt, mit mehr als doppelt so vielen Häftlingen wie eigentlich vorgesehen. Fast zeitgleich besetzten Gefängnisinsassen eine Haftanstalt im argentinischen Buenos Aires und am Wochenende nahmen Insassen in Manaus mehrere Wärter als Geiseln. Die Stadt ist in den vergangenen Wochen zu einer der am heftigsten vom Coronavirus betroffenen Regionen Brasiliens geworden. Das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen, Tote werden in Massengräbern bestattet und selbst Särge werden knapp.
Revolten gab es dazu auch in Chile, Mexiko, Kolumbien, Ecuador, El Salvador und vielen anderen Ländern der Region. Dass der Aufstand im Los-Llanos-Gefängnis in Venezuela aber so eskalierte, liegt wohl auch an der verzweifelten Lage des Landes insgesamt.
Der sozialistische Staat steckt seit Jahren in einer politischen und wirtschaftlichen Krise, fast fünf Millionen Menschen haben das Land verlassen. Häftlinge, sagen Menschenrechtsbeobachter, seien oft auf Angehörige angewiesen, damit diese sie in den Zellen mit Essen versorgen. Als die venezolanische Regierung Mitte März dann aber eine landesweite Quarantäne verhängte, brach diese Versorgung zusammen - und damit der Aufstand los.