Nordrhein-Westfalen:Der Fall Scharrenbach

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Ina Scharrenbach, nordrhein-westfälische Ministerin für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung, wäre für Laschets Nachfolge eigentlich die erste Wahl. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Eine Regel in der NRW-Verfassung verhindert, dass eine profilierte CDU-Frau nächste Ministerpräsidentin werden kann. Vorerst jedenfalls.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Die Stimme am anderen Ende der Leitung klingt entspannt. "Ich denke selten über vergossene Milch nach", sagt Ina Scharrenbach, Nordrhein-Westfalens Heimatministerin, am Telefon. Nein, sie bereue nichts, beteuert die 44-jährige CDU-Politikerin, schon gar nicht ihre Entscheidung aus jener schicksalhaften Juni-Woche 2017.

Der "Fall Scharrenbach" erzählt zweierlei: Erstens, wie Armin Laschets jäher Drang ins Kanzleramt selbst das eigene Kabinett überrumpelte. Und zweitens, warum als Nachfolgerin im höchsten Regierungsamt des Landes keine Frau zum Zuge kommen dürfte. Jedenfalls keine von der CDU. Unter denen nämlich wäre Ina Scharrenbach, die fleißige Ministerin und rührige Vorsitzende der NRW-Frauenunion, erste Wahl.

"Ich habe daraus gelernt: Politik ist nicht planbar"

Wie also kam es dazu? Corona verbietet jede persönliche Begegnung, und nachdem die Videoschalte mit Scharrenbachs Home-Office im westfälischen Kamen dreimal zusammenbrach, bleibt nur das Telefon. Ein Gespräch ohne Bild also, und dennoch: Man sieht das vor sich, wie die Ministerin lakonisch mit beiden Achseln zuckt, als sie unbeschwert sagt: "Ich habe daraus gelernt: Politik ist nicht planbar."

Rückblick: Im Mai 2017 hatten CDU und FDP überraschend die NRW-Landtagswahl gewonnen. Am 27. Juni, einem Dienstag, wird Armin Laschet von der schwarz-gelben Mehrheit im Landtag zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Scharrenbach schaut vorm Fernseher zu, sie darf nicht mitstimmen. Daheim im traditionell roten Kreis Unna hat sie den Kampf um ein Direktmandat verloren - und die CDU-Landesliste, auf der die Vorsitzende der NRW-Frauenunion Platz 8 belegte, zog nicht. Noch nicht.

Das jedoch ändert sich schlagartig am Tag drauf. Zwei Parteifreundinnen werden am 28. Juni 2017 als beamtete Staatssekretärinnen in die Regierung berufen, beide müssen deshalb ihren Sitz im Düsseldorfer Parlament aufgeben. Und siehe da, das frei gewordene Abgeordnetenmandat fällt nun Scharrenbach in die Hände. Wenigstens für ein paar gedankliche Sekunden, ehe sie eine folgenschwere Entscheidung trifft. Scharrenbach verzichtet, sie überlässt den Sitz im Landtag einer Parteifreundin aus Ostwestfalen.

Die Vorschrift gibt es bundesweit nur in der NRW-Verfassung

Das hat heute Folgen. Nordrhein-Westfalens Verfassung nämlich verlangt in Artikel 52, Absatz 1, von seinem Ministerpräsidenten eine Eigenschaft, die keine der anderen 15 Landesverfassungen oder das Grundgesetz zur Wahl einer Regierungschefin voraussetzt. Kandidieren darf nur, wer Mitglied des Parlaments ist. "Damals habe ich über Artikel 52 nicht eine Sekunde nachgedacht", sagt Scharrenbach. Dass ausgerechnet Armin Laschet, dieser anno 2017 noch chronisch unterschätzte CDU-Oppositionsführer am Rhein, 2021 zum Bundesparteichef und potenziellen Kanzlerkandidaten aufsteigen würde - das habe sie sich nicht ausgemalt: "Das stand damals doch nirgendwo auf der Tagesordnung."

Damals, vor dreieinhalb Jahren, war Scharrenbach dennoch zufrieden. Am Morgen jenes 28. Juni 2017 ahnte sie längst, dass sie Ministerin werden würde. Auf den Düsseldorfer Korridoren wurde die gelernte Bankkauffrau und Betriebswirtin, die sich seit 2016 als scharfzüngige CDU-Obfrau im Untersuchungsausschuss des Landtags zur Kölner Silvesternacht profiliert hatte, sogar als mögliche Innenministerin gehandelt. Es kam anders. In einem Telefonat bot ihr Laschet ein neu zugeschnittenes Heimatministerium an, zuständig auch für Bauen und Kommunales. Im Gespräch legte Laschet noch einen Bonus drauf, eine Ministerialabteilung mehr: "Willst du die Gleichstellung noch dazu haben?" Frau Scharrenbach wollte.

Scharrenbach hat ihr Haus im Griff, ihre Beamten fürchten sie als "extrem aktenkundig". In kleinen Runden vermag die Ministerin gewinnend aufzutreten, das Charisma für die große Bühne jedoch fehlt ihr. Die CDU-Frau weiß, dass sie als Nicht-Abgeordnete keine Chance hat, Laschet vor der Landtagswahl im Mai 2022 zu beerben. Und doch schimmern Ambitionen durch, wenn sie den MP-Job als "ein reizvolles Amt" beschreibt und zu einer eigenen Kandidatur anmerkt: "Man sollte niemals nie sagen." Scharrenbach lacht kurz, dann wiederholt sie ihre Lektion von 2017: "Politik ist nicht planbar."

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