Landwirtschaft:Pink Ladys Schatten

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Eine miserable Ernte und der Trend zu Importäpfeln setzen dem Lieblingsobst der Deutschen zu.

Von Titus Arnu

Man sollte mehr Schafsnasen essen. Nicht die Nasen der Huftiere, sondern die Apfelsorte. Die glockenförmige, rötlich gestreifte Frucht ist besonders saftig und lässt sich den Winter über lagern, ohne zu schrumpeln. Doch Rheinische, Gelbe oder Berliner Schafsnasen sind selten geworden. Auch andere alte Sorten mit poetischen Namen wie Hasenkopf, Wintergoldparmäne, Ananasrenette oder Doppelmelone sind kaum zu bekommen. Gegen Jungstars wie Pink Lady haben alte Nasen und Hasen keine Chance.

Der Konsument greift im Obstregal am liebsten nach roten, makellos geformten Früchten. Alte, robustere Sorten aus regionalem Bio-Anbau mögen ökologisch empfehlenswert sein, doch gegen Marketing-Maßnahmen für trendiges Importobst geraten sie schnell zu Randfiguren. Der aus Australien stammende Mode-Apfel Pink Lady wird mit einem rosaroten Internet-Auftritt einschließlich Blog und Rezepttipps in Szene gesetzt. Die Lady hat einen eigenen Twitter-Account, eine Fanseite bei Facebook, eine ehemalige Miss Schweiz wirbt im rosa Kleid als Apfel- Influencerin für die Marke. Im Obstregal ist ein Kultursortenkampf im Gange.

Man muss nicht bei Adam und Eva anfangen, um den Stellenwert des Apfels in unserer Gesellschaft zu belegen. Die Geschichte des "Malus domestica" geht zurück bis weit in vorchristliche Zeiten nach Asien, von dort stammt genetischen Untersuchungen zufolge die Urform des Speiseapfels. Pomologen - so heißen die Experten für Obstbaukunde - schätzen, dass weltweit mehr als 30 000 Sorten existieren. Im 19. Jahrhundert waren allein in Deutschland mehr als 4000 Sorten bekannt. Doch die Vielfalt schwindet. Das Angebot ist auf wenige Trendsorten eingeschrumpelt. In den Supermärkten liegen vor allem rote, süßliche Äpfel wie Rubens, Red Prince und Pink Lady. Diese einseitige Entwicklung wird nun durch eine katastrophal schlechte Ernte verschärft.

Später Frost mitten in der Blütezeit im April hat vielen deutschen Apfelbauern die Ernte verdorben. Besonders hart trifft es die Betriebe am Bodensee, neben dem Alten Land bei Hamburg und Niedersachsen eines der wichtigsten Anbaugebiete. "Ich rechne mit minus 75 Prozent", sagt Jürgen Nüssle von der Marketinggesellschaft "Obst vom Bodensee". Europaweit erwartet die Landesanstalt für Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume (LEL) mit 9,3 Millionen Tonnen die geringste Ernte seit zehn Jahren.

Baden-Württemberg hat normalerweise einen Apfel-Überschuss, könnte im kommenden Frühjahr aber auf Importe angewiesen sein. Es drohe ein "Versorgungsdefizit" von 50 000 Tonnen, notfalls müsse man auf anderes Obst ausweichen, teilt die LEL leicht säuerlich mit. Der Apfel ist nach wie vor mit Abstand das beliebteste Obst der Deutschen. Der Pro-Kopf-Verbrauch lag im vergangenen Jahr bei 19,1 Kilogramm, es folgen Bananen (11,7 Kilo) und Trauben (5,1 Kilo). Mindestens jeder zweite Apfel ist importiert. Wer aus Überzeugung regionale Äpfel wie Schafsnase und Hasenkopf kauft, bezahlt diesen Herbst voraussichtlich noch mehr als sonst. Dafür trägt ein Schafsnasen-Apfelkuchen zur Erhaltung einer gefährdeten Art bei.

© SZ vom 21.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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