Lateinamerika:Sand im Mund

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Eine Zahnpasta weckt in Kuba schlimme Erinnerungen.

Von Benedikt Peters

Manche Menschen erleben ein Déjà-vu, wenn sie an einen vergessenen Ort kommen; andere, wenn an Weihnachten im Familienkreis der immer gleiche Streit ausbricht. Die Kubaner erleben nun ein Déjà-vu mit ihrer Zahnpasta. "Denti-Fresh" heißt das Produkt, das die real existierende Planwirtschaft seit vielen Jahren herstellt. Kubaner können es dank staatlicher Subventionen vergünstigt erwerben, aber das heißt noch lange nicht, dass sie die Zahnpasta auch mögen. In einem Blog beschrieb eine Kubanerin das Putzerlebnis kürzlich so: "Es ist, als würdest du zum Strand gehen und dir die Zähne mit Sand putzen."

Nun, fürchten viele Kubaner, könnte es noch schlimmer werden. Die staatliche Zeitung Granma kündigte unlängst an, die Produktion von Denti-Fresh solle umgestellt werden: Der Import von Silizium, das wie in vielen anderen Zahnpasten auch in Denti-Fresh enthalten ist, sei zu teuer geworden. Es werde künftig ersetzt durch "Calciumcarbonat aus unseren eigenen Steinbrüchen". Langfristig sei das Ziel, eine Zahncreme herzustellen, die allein mit heimischen Materialien auskommt.

In Kuba weckt das schlimme Erinnerungen. Schon einmal gab es eine Zeit, in der Importe nahezu unbezahlbar waren: In den 1990er-Jahren war das, unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und damit auch der sozialistischen Wirtschaftshilfe. Kuba lag damals am Boden, es gab kaum noch Lebensmittel, Strom und so gut wie kein Benzin mehr. Wer konnte, hielt sich gegen den Hunger ein paar Hühner im Hinterhof. Ein Kubaner, der an einer stark befahrenen Straße in Havanna wohnt, beschrieb diese Zeit einmal so: "Du konntest dich hier mitten auf die Fahrbahn legen und ein Schläfchen machen. Es kam einfach kein Auto mehr."

Es war auch nicht die beste Zeit für die sozialistische Zahnpasta. Damals kam sie in einer völlig schmucklosen Aluminiumtube und wurde wegen des Mangels mit allerlei Zusätzen gepanscht. Betroffene beteuern, sie habe nicht nur nach Sand geschmeckt, sondern auch zäh und irgendwie schleimig. "Man konnte mit ihr Ringe säubern und sie als Putzmittel verwenden", sagte neulich eine ältere Dame, "aber sie im Mund zu haben, das war eine Tortur." Gerüchte besagen, immerhin die Aluminiumtube habe ihr Gutes gehabt, mit ihr hätten die Kubaner improvisierte Petroleumlampen gebaut, damit sie während der Stromausfälle etwas sehen konnten.

Ganz so schlimm wie in den 1990er-Jahren wird es wohl nicht mehr kommen, trotzdem erleben die Kubaner in diesen Monaten wieder einmal eine Verschärfung ihrer Dauerkrise. Die Corona-Pandemie, US-Sanktionen und eine Währungsreform führen dazu, dass wieder einmal Lebensmittel knapp und teuer und die Schlangen lang sind.

Ihren Humor aber haben die Kubaner nicht verloren, wie eine Geschichte beweist, die angesichts der Zahnpasta-Affäre nun wieder kursiert: Ein Reisender sei einmal in den 1990er-Jahren am Flughafen von London festgenommen worden, im Gepäck habe er ein paar der schmucklosen Tuben mit der schleimigen Zahnpasta gehabt. Die Zollbeamten hätten den Inhalt lange geprüft und dann festgestellt: "Das sind keine Drogen. Aber Zahnpasta ist es auch nicht."

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