Seit fast 60 Jahren gibt es das US-Embargo gegen Kuba, unter Donald Trump ist es weiter verschärft worden. Die Versorgungslage werde schwieriger, Corona habe alles noch einmal schlimmer gemacht, sagt der deutsche Harvard-Historiker Rainer G. Schultz, 43, der das einzige US-amerikanisch geführte Wissenschaftszentrum in Kuba leitet. Schultz hat nun eine Petition mitinitiiert, die Deutschland dazu bewegen soll, gegen das US-Embargo vorzugehen. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die im Juli beginnt, sei der richtige Zeitpunkt dafür, findet er. Unterzeichnet haben 60 Künstler, Wissenschaftler und Juristen, unter ihnen die Regisseure Wim Wenders, Fatih Akin und Margarethe von Trotta, die ehemalige deutsche Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, die Völkerrechtler Norman Paech und Gerhard Werle oder Musiker wie Jan Delay.
SZ: Was bringt einen deutschen Historiker mit Harvard-Abschluss nach Havanna?
Schultz: Als ich in Harvard promovierte, gab es ein beispielhaftes Kuba-Programm. Das hat mich als Historiker und Lateinamerikanist angezogen, weil ich Kuba für politisch und kulturell interessant halte. Wir haben in zehn Jahren fast 100 kubanische Wissenschaftler nach Harvard eingeladen. Ich habe dann eine Forschungsarbeit in Kuba gemacht. Kurz vor der Obama-Wende wurde unter Federführung der Brown-University das Consortium for Advanced Studies Abroad gegründet, das Studien im Ausland ermöglichen soll. 18 US-Spitzen-Unis sind beteiligt, auch Harvard und Columbia. Wir unterhalten hier in Havanna ein kleines Forschungszentrum, das ich leite.
Eine ungewöhnliche Funktion für einen Deutschen.
Die Rolle als Nichtamerikaner, als Cuban German American sozusagen, hat einige diplomatische Vorteile.
Wieso wollen Sie nun in der Politik mitmischen?
Das US-Embargo gegen Kuba gibt es ja schon lange, aber in den letzten Monaten, auch durch Corona, ist das Fass übergelaufen. Kuba hat die Pandemie im eigenen Land mit seinen sehr begrenzten Mitteln vorbildlich im Zaum gehalten und sogar in anderen Ländern wie Italien geholfen, wurde aber selbst immer stärker behindert, etwa beim Zugang zu medizinischem Gerät. Dazu kommt die Lebensmittelknappheit, die sich durch die Sanktionen verschärft. Das kann man so nicht mehr hinnehmen. Deshalb habe ich mich mit fünf anderen deutschen Kulturschaffenden, die auf Kuba leben, zusammengetan und die Petition gestartet.
Was wollen Sie erreichen?
Obama hat in seiner State-of-the-Union-Rede 2016 gesagt: Wir müssen intelligenter sein als der Kalte Krieg, das Embargo gehört weg. Wir hoffen, dass der momentane Gegensatz zwischen Trump-Amerika und Europa vielleicht in der EU auch ein Nachdenken über den Umgang mit Kuba in Gang setzt. Vielleicht trauen sich die europäischen Politiker mittelfristig ein bisschen mehr.
Was sollte die EU konkret tun?
Es gibt eine EU-Verordnung von 1996, die europäische Unternehmen und Personen davor schützt, vor US-Gerichten verklagt zu werden, wenn sie mit Kuba Handel treiben. Das wurde lange nicht richtig angewendet, aber unter Donald Trump wurde diese Praxis nun erstmals in Gang gesetzt. Diese Maßnahmen verstoßen gegen EU-Werte wie Freihandel und Freizügigkeit. Dagegen sollte die EU vorgehen, finden wir.
Fällt Ihre eigene Tätigkeit auf Kuba nicht eigentlich auch unter das US-Embargo?
Unter der Präsidentschaft von Bill Clinton gab es eine Öffnung, auch für Wissenschaftler und Studierende, dann kam George W. Bush, und es eskalierte wieder. Unter Barack Obama wurde es wieder besser, er wollte Annäherung. Unter Donald Trump ist jetzt alles wieder schwieriger, die Zahl US-amerikanischer Studenten und Besucher auf Kuba nimmt ab. Mein Gehalt bekomme ich über Spanien, da keine Bank mehr Überweisungen aus den USA nach Kuba vornehmen will. Selbst Unternehmen wie Airbnb, die legal in Kuba operieren, müssen ihre Leute mit Bargeld bezahlen. Das ist absurd.
Wie ist Ihre eigene Lebenswirklichkeit in Kuba, sind Sie privilegiert?
Sicher, ich habe einen ausländischen Pass und eine Kreditkarte. Aber wenn der Strom oder das Wasser ausfallen, spüren meine Frau und ich das genauso. Sonst fühle ich mich gut aufgenommen, werde als aktiver Mitbürger respektiert und als jemand, der den Austausch gerade mit den USA fördert.
Sind Sie ein Revolutionsromantiker?
Als ich vor 20 Jahren nach Kuba kam, wollte ich als Westdeutscher sehen, was Sozialismus im Alltag bedeutet. Was mich fasziniert hat, ist die Zugänglichkeit und Offenheit der Menschen, die im Kontrast stehen zum offiziellen Bild der sozialistischen Diktatur. Ein Land mit europäischer, afrikanischer und asiatischer Kultur - es ist wahnsinnig spannend.
Aber es gibt doch weder Meinungsfreiheit noch Oppositio n .
Ich bin mir im Klaren, dass es hier Grenzen gibt, die man nicht überschreiten sollte, das ist bedauerlich und kritikwürdig. Aber dies passiert ja nicht im luftleeren Raum. Kuba wird seit 60 Jahren befeindet - vom mächtigsten Staat der Welt. Und es ist natürlich schon schwierig, wenn oppositionelle Stimmen zum Teil auch von außen finanziert werden. Die USA gehen auch dagegen vor, wenn China das bei ihnen tut.
Hat sich etwas verändert seit dem Tod Fidel Castros?
Die Pluralität hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Wenn Sie kubanische Online-Medien lesen, finden Sie inzwischen eigentlich alles: Autoritäres von früher, aber auch Kritisches. Die junge Generation hat eine ganz andere Stimme. Sie bewegt sich hin zu einer modernen, offenen, pluralen Gesellschaft.
Nach welchen Kriterien haben Sie und Ihre Mitstreiter die Unterzeichner für die Petition ausgewählt?
Wir suchten Leute aus dem Kulturbereich, die einen Bezug zu Kuba haben und etwas für die Menschen hier tun wollen, denn darum geht es. Fast jeder, der mal hier war, hat diesen Charme und die Nähe der Kubaner gespürt. Man kann dann nicht diese gnadenlose Härte der USA einfach hinnehmen.