Krisenszenarien der Zukunft:Die letzten Tage der Menschheit

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Knappe Rohstoffe, resistente Viren und ein freies Internet: Den Journalisten Andreas Rinke und Christian Schwägerl zufolge sind all das mögliche Gründe für zukünftige Krisen. Fesselnd und faktenorientiert beschreiben sie in ihrem Buch "11 drohende Kriege", was zwischen den Jahren 2040 und 2080 auf uns zukommen könnte.

Thomas Steg

Wenn das kein gelungener erster Satz ist: "Dieses Buch könnte Ihnen Angst machen." Das könnte es in der Tat. Gleich 11 drohende Kriege skizzieren die Journalisten Andreas Rinke und Christian Schwägerl in ihrem gleichnamigen, ja was eigentlich? Appell? Sachbuch? Roman? Dazu später mehr.

Die aufstrebende Suprmacht China wird in dem Buch über Kriege der Zukunft als brutal, drohend und erpresserisch charakterisiert. (Foto: AFP)

Zukunftssorge und Zukunftsvorsorge, so ließe sich die Kernbotschaft zusammenfassen, ist in der heutigen Welt dringend erforderlich. Das angebrochene 21. Jahrhundert wird erkennbar unruhig. Vor diesem Hintergrund entwerfen die Autoren elf düstere Zukunftsszenarien, in denen sich die Menschheit aufgrund von Macht-, Ressourcen- und Selbsterhaltungshunger ein ums andere Mal an den Rand einer globalen Katastrophe bringt.

Die Grundannahme: Geopolitische Gewichte verschieben sich, die überlieferten Machtkonstellationen sind aus der Balance geraten. Die Autoren versuchen, die Flaggensignale der kommenden Zeit zu deuten, indem sie bekannte Fakten und erkennbare Trends aus den unterschiedlichsten Themenfeldern zu elf futuristischen, nicht aber utopischen Konfliktszenarien verdichten.

Dramaturgisch setzen sie dabei auf Wiederholung: Elf Themen werden gerahmt durch feuilletonistische Reportagen aus der Zukunft, farbig-fiktive Geschichten irgendwann zwischen 2040 und 2080. Von einem drohenden "Kühlkrieg", in dem sich die künftigen Supermächte China und Indien ohne Rücksicht auf die Interessen des Westens verbünden, um der weiteren Erderwärmung entgegenzuwirken, bis hin zu einer Abspaltung Kaliforniens und anderer Südstaaten von den USA, weil die hispanische Bevölkerungsmehrheit das historische Konstrukt eines Groß-Mexiko verwirklichen will.

Keine Hirngespinste

Rinke und Schwägerl grasen alle erdenklichen und nicht erdenklichen Konflikte und Krisen ab: Den Kampf um die knapper werdenden Rohstoffe in 6000 Meter Meerestiefe, die Bedrohung durch resistente Viren und Keime im "Post-Antibiotika-Zeitalter", die Verschärfung von Hunger und Unterernährung durch die Überfischung der Weltmeere oder schließlich die Gefahren im und durch das Internet, Stichwort "Cyber-Krieg".

Unterbrochen wird jedes dieser Szenarien von einem faktenorientierten Mittelteil, in dem die Autoren in die Gegenwart springen und einige wissenschaftliche Erkenntnisse, politische Trends und (Fehl-)Entwicklungen der vergangenen Jahre aufzeigen, damit der Leser versteht, dass ihre Zukunftsgeschichten keinesfalls Hirngespinste sind. Plausibilität erlangen die Überlegungen vor allem dadurch, dass Rinke und Schwägerl zum Teil mit detaillierter Faktenkenntnis nachweisen, wie Forschung, Militär und Geheimdienste bereits heute an jenen Techniken und Instrumenten arbeiten, die unsere Zukunft einmal prägen und gefährden könnten.

Paradoxerweise macht die größte Schwäche dieses Buches es zu einer empfehlenswerten Lektüre: Rinke und Schwägerl beherrschen das journalistische Handwerk, sie schreiben flüssig und verständlich, anschaulich und streckenweise fesselnd. Nur: Soll es hier überhaupt um rhetorisches Entertainment gehen? Eher nicht.

11 drohende Kriege ist ein Buch, das informieren und aufklären, das den Blick für neue Herausforderungen, Bedrohungen und Konflikte im 21. Jahrhundert schärfen möchte. Zu diesem Zweck werden gegenwärtige Erkenntnisse mit Zukunftsmalereien so verflochten, dass dem Leser vor lauter Zeit- und Realitätssprüngen leicht blümerant wird.

Vieles von dem, was die beiden Journalisten beschreiben, ist gewichtig und ernst zu nehmen. Umso ärgerlicher ist es deshalb, dass sich Schwägerl und Rinke ideologisch noch immer in der Zeit des binären Denkens und der Blockkonfrontation bewegen. Bei ihnen hat China die Rolle des ubiquitären Bösewichts übernommen. Da schimmern latente Ressentiments durch, wenn von "gelber Gefahr" und von "dunklen chinesischen Kräften" die Rede ist, wenn China als brutal, drohend und erpresserisch charakterisiert wird.

Wenn die Regierung in Peking nach Afrika, Australien und den Weltmeeren - mit einem Wort: nach der Weltherrschaft - greift oder der Cyber-Schutzmacht USA die Super-Spionagemacht China gegenübergestellt wird, dann ist das nicht mehr inspirierend, sondern bestenfalls traditionell. Auf den zweiten Blick haben die Journalisten somit eigentlich ein Buch über, nein gegen China geschrieben. Mindestens aber über die Notwendigkeit, dass sich der Westen gegen China geo-, macht- und wirtschaftspolitisch behauptet. "Für den Westen könnte das die größte Herausforderung darstellen: ein weiterhin undemokratisches und repressives China, das aber die Welt mit neuen Technologien, effizienter Problemlösung und langfristigen Strategien für sich gewinnt."

Nun könnte man einwenden, dass die Welt viel gewinnen könnte, wenn sich durch die Verteidigung westlicher Werte Kriege vermeiden ließen. Leider fehlt den 11 drohenden Kriegen aber ein wesentliches Zukunftsszenario, nämlich: Wie die westlichen Demokratien sich aus sich selbst heraus gefährden. Die Fragen, wie die überschuldeten westlichen Staaten zukünftig Freiheit und Wohlstand garantieren und sich dabei politisch stets aufs Neue legitimieren wollen, wie sie sich gegenüber äußerem Druck durch die Konkurrenz der Regierungssysteme und gegenüber innerem Druck durch charismatische Populisten verteidigen können, bleiben unterbelichtet.

Keine neuen Ideen

Ein Buch, das Angst macht? Im abschließenden Kapitel, überschrieben mit "Eine robustere Zivilisation", schwächen die Autoren manch Bedrohliches aus den vorhergehenden Szenarien wieder ab. Nichts ist zwangsläufig, betonen Rinke und Schwägerl, auch Kriege seien nicht unausweichlich, wenn die Menschheit rechtzeitig umsteuert und einige (hier leider sehr allgemein gehaltene) Regeln beachtet: mehr Integration statt Isolationismus, Langfristigkeit im Denken und Handeln (Green Economy), Reform der Vereinten Nationen, Änderung des konsumorientierten Lebensstils und so weiter.

Das ist irgendwie nicht ganz falsch, aber irgendwie auch nicht ganz neu. Zudem verfallen die Autoren dabei gelegentlich in einen pastoral-präsidialen Ton, der unangenehm an politische Sonntagsreden erinnert: "Die Welt von heute ist auf gefährliche Weise fragil. Doch zugleich wachsen die Kräfte der Vorausschau und der Vorbeugung." Und der Schlusssatz klingt dann auch reichlich lapidar: "Die Zukunft im 21. Jahrhundert ist gestaltbar."

Am Ende bleibt eine unbefriedigende Diskrepanz zwischen der Beschreibung der gewichtigen Gefahren und den angebotenen Lösungen. Noch ist bisher jede wirksame Reform der Vereinten Nationen an nationalen Egoismen gescheitert. Trotz wiederholter Appelle an die Vernunft deutet wenig daraufhin, dass sich das bald ändern könnte. Hier lohnt es sich, einmal an Schiller zu erinnern: "Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen."

Das Buch: Andreas Rinke, Christian Schwägerl: 11 drohende Kriege. Künftige Konflikte um Technologien, Rohstoffe, Territorien und Nahrung. C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh 2012. 429 Seiten, 21, 99 Euro.

Der Autor: Der Sozialwissenschaftler Thomas Steg war von 2002 bis 2009 stellvertretender Sprecher der Bundesregierung.

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