In Slawjansk ist die Staatsmacht zusammengebrochen. Rathaus, Polizei und Geheimdienstzentrale sind in der Gewalt der Aufständischen. Die Miliz des selbst ernannten "Volksbürgermeisters" Wjatscheslaw Ponomarjow hatte am Montag den US-Journalisten Simon Ostrovsky und offenbar auch mehrere Ukrainer als Geiseln genommen. Ostrovsky wurde erst am Donnerstagabend wieder freigelassen, er sei geschlagen und gefesselt worden, berichtete er. "Provokateure" seien das und keine Journalisten, verkündet Ponomarjow in regelmäßigen Auftritten vor Reportern. Er will sie austauschen gegen einen seiner Männer, den die proukrainische Seite festgenommen hat. Am Donnerstag werden Schüsse aus Slawjansk gemeldet. Von fünf toten prorussischen Kämpfern ist die Rede. Die von der Übergangsregierung in Kiew oft angekündigte "Anti-Terror-Operation" scheint anzulaufen.
Vom Genfer Abkommen, vor einer Woche zwischen den USA, Russland, der EU und der Ukraine ausgehandelt, spricht kaum noch jemand. Gewiss, es gibt die Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die in einem unscheinbaren Hotel in einem Donezker Hinterhof ihr Quartier bezogen hat. Doch die Berichte der OSZE-Leute klingen jeden Tag ein bisschen düsterer.
"Ich habe Angst. Seit zwei Monaten befinde ich mich im Dauerstress", sagt Igor Todorow. Der Professor sitzt in seinem kargen Büro an der Universität von Donezk und beschreibt eine Welt, die gerade zusammenbricht - seine Welt. Im Säuglingsalter ist er vor 54 Jahren mit seinen russischen Eltern nach Donezk gekommen. Heute sagt er von sich: "Ich sehe mich als Ukrainer im politischen, nicht im ethnischen Sinne".
Todorows Mission ist die europäische Integration der Ukraine. Er ist Professor für Internationale Beziehungen und Leiter eines EU-Informationszentrums. In Donezk gehörte er zu denen, die bis vor ein paar Monaten abends zum örtlichen Euro-Maidan gingen. Höchstens ein paar Tausend waren das, bei Weitem nicht so viele wie in Kiew. Trotzdem ist Todorow überzeugt, dass jene Umfragen zutreffen, wonach eine Mehrheit nicht dem Beispiel der Krim folgen will. Separatistische Tendenzen habe es bis vor ein paar Wochen in der Stadt nicht gegeben. "Sympathie für Russland ja, Separatismus nein", sagt der Professor. Er glaubt, dass sich vor seinen Augen "eine lange geplante Operation Russlands" abspielt und ihm die Zukunft in der eigenen Stadt raubt. Bis vor Kurzem, sagt er, habe er ein Europa-Emblem an der Tasche getragen. Das tut er nicht mehr. Nur sein Handy klingelt noch ganz so wie früher, in den Tönen der Europahymne.