Kriminalität:Sicher?

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Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen will erforschen, wie bedroht die Bürger sich tatsächlich fühlen. Gefragt wird auch nach sexueller Gewalt - gegen Männer: "Wer gibt schon gern zu, dass ihn seine Frau verprügelt hat?"

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Mit einer Befragung von 60 000 Bürgern will die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen jetzt erkunden, ob sich die Menschen in dem Bundesland sicher fühlen. Und die Regierung will erhellen, wie oft Menschen insbesondere Opfer sexueller Gewalt werden. Heimatministerin Ina Scharrenbach (CDU) begründete die erste Studie dieser Art in NRW am Montag mit dem Drama der Kölner Silvesternacht 2015/2016: "Das ist der Ur-Auslöser." Scharrenbach erinnerte daran, dass viele der weit mehr als tausend Frauen, die sich damals sexuellen Übergriffen meist ausländischer Tatverdächtiger ausgesetzt sahen, zunächst keine Anzeige erstattet hätten. Dieses so genannte "Dunkelfeld" wolle man nun ausleuchten: "Wir schalten die Scheinwerfer an."

Eine Besonderheit der NRW-Studie ist, dass sie auch nach der Gewalt gegen Jungen und Männern fragt. "Das ist bis heute ein Tabu", sagte Scharrenbach, die auch für Fragen der Gleichstellung zuständig ist, "und dieses Tabu wollen wir aufbrechen." Ein hochrangiger Kriminalist ergänzte am Rande der Pressekonferenz, aus Scham würden Männer nur äußerst selten erlittene Gewalt anzeigen: "Wer gibt schon gern zu, dass ihn seine Frau verprügelt hat?" Gemeinsam mit Bayern plant NRW zudem, bis zum Frühjahr 2020 eine Hotline für männliche Opfer sexueller Gewalt einzurichten.

60000 Bürger sind aufgerufen, die 67 Fragen zu beantworten

Neben Scharrenbach rief auch NRW-Innenminister Herbert Reul die Bürger auf, sich an der Befragung zu beteiligen. Zwar sei der Katalog von insgesamt 67 Fragen "ein richtig dickes Ding", das "schon etwas Zeit" benötige zur Beantwortung. Aber als Ergebnis der 500 000 Euro teuren Umfrage, die vom Infas-Institut in Bonn bis Sommer 2020 ausgewertet werden wird, verspreche man sich Erkenntnisse für mehr Vorbeugung gegen Straftaten sowie für einen besseren Opferschutz. Bei einem Testlauf, sagte der CDU-Politiker, sei nur ein Drittel der Fragebögen zurückgesandt worden: "Das ist steigerungsfähig." Nun erhalten alle 60 000 repräsentativ ausgewählten Teilnehmer in dieser Woche zunächst einen Brief, in dem Infas-Chef Menno Smid und der Direktor des Landeskriminalamtes von NRW, Frank Hoever, über Zweck und Methode der Umfrage informieren. Das seien, so Reul, "seriöse Absender". Der eigentliche Fragebogen wird erst in der ersten Septemberhälfte verschickt.

Innenminister Reul hatte zuletzt eine stetig sinkende Kriminalität (minus sieben Prozent) in dem Bundesland vermelden können. Auch die Zahl der Gewaltdelikte ging 2018 um 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück. Hingegen stieg die Zahl registrierter Sexualstraftaten um 9,2 Prozent. Kriminalisten erklären dies mit einer größeren Bereitschaft der Opfer, ihre Peiniger anzuzeigen. Reul verwies auf den Skandal um den tausendfachen Missbrauch von Kindern auf dem Campingplatz in Lügde. Die Aufarbeitung des Falls habe das gesellschaftliche Bewusstsein geschärft.

Reul verspricht sich von der Studie Erkenntnisse über die Kriminalstatistik hinaus: Wichtig im Alltag der Bürger sei letztlich deren subjektives Sicherheitsempfinden etwa angesichts von "Angsträumen" wie düsteren Plätzen oder einer finsteren U-Bahn-Station. "Dieses Gefühl der Menschen bestimmt ihr Handeln", glaubt Reul, "da helfen mir keine schönen Zahlen auf dem Papier." Der NRW-Fragebogen widmet sich deshalb zunächst ausführlich dem Wohnumfeld der Bürger sowie ihrem Sicherheitsgefühl bei Tag und bei Nacht - und fragt erst dann nach konkreten Gewalterfahrungen.

© SZ vom 20.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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