Kriminalität:Die düstere Seite des Netzes

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Gegen die Kinderpornografie-Börse "Elysium" ist der Polizei ein großer Schlag gelungen. Erfolg haben in der neuen Welt des Darknets ausgerechnet jene Ermittler, die zu ganz klassischen Methoden zurückkehren.

Von Ronen Steinke, München

Um das Katz-und-Maus-Spiel mit Ermittlern geht es ziemlich oft in den Chatforen des Darknets, im Szene-Jargon heißen die Beamten dort "Uwe". Uwe ist meist eine Lachnummer. Noch kurz bevor Anfang 2016 eine internationale Polizeiaktion unter der Leitung des Bundeskriminalamts mehrere deutschsprachige Darknet-Marktplätze schließen konnte, diskutierten die Hintermänner im eigenen Forum über die aus ihrer Sicht unfähigen Ermittler. Kryptierung, Tor-Browser, Kryptowährungen, all diese neuen Dinge - "Uwe" verstehe nur Windows 95.

Das täuscht immer öfter. Erfolge der Ermittler im Darknet häufen sich, in den vergangenen Wochen gab es gleich zwei größere: Erst wurde im Juni der Schatten-Marktplatz für Drogen und Waffen ausgehoben, über den sich auch der Münchner Amokläufer im vergangenen Juli seine Pistole beschafft hatte, das Forum "Deutschland im Deep Web". In dieser Woche wurde bekannt, dass hessische Ermittler zudem eine der weltweit größten Börsen für Kinderpornografie gestoppt haben, "Elysium". Mehr als 87 000 Personen sollen dort Bilder und Filme ausgetauscht, aber auch Missbrauchshandlungen organisiert haben. Die jüngsten Opfer waren zwei Jahre alt, teils ging es den Tätern - und den sie bestärkenden Abnehmern der Videos - um roheste Gewalt.

Angesichts von 87 000 Personen, die sich dort anonym austauschen konnten, ist die Zahl der Verhafteten noch immer bedrückend klein: Insgesamt 14 Männer wurden enttarnt und vor Haftrichter gebracht, im Zentrum steht ein 28-Jähriger aus Wien, wie am Freitag bekannt wurde. Er soll seine beiden Kinder, die heute fünf und sieben Jahre alt sind, über Jahre hinweg schwer sexuell missbraucht haben. Dann soll er sie dreimal einem 61-jährigen Bayern aus dem Landkreis Landsberg am Lech zur Verfügung gestellt haben, und mehrmals auch einem 40-jährigen Österreicher. Über "Elysium" lernten sie sich kennen. Die Seite bot Foren in Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch, ermittelt wird nun bis nach Neuseeland.

Seltener Fahndungserfolg: Der Polizei gelang im vergangenen Jahr ein Schlag gegen die Kinderpornografie-Plattform Elysium - hier der Screenshot eines Chat-Protokolls auf der Seite. Doch bei vielen Verdachtsfällen kommen die Beamten nicht weiter. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Aber in der Welt der verschlüsselten Netz-Kommunikation sind solche vergleichsweise kleinen Erfolge hart errungen. Ins Darknet zu gelangen ist einfach - die dort geltende Anonymität zu knacken aber beinahe unmöglich. Jeder Internetnutzer kann mit geringem Aufwand sicherstellen, dass er nicht identifizierbar ist. Getarnt durch einen sogenannten Tor-Browser kann er weiter jede Webseite ansteuern, den meisten ist es egal, ob Besucher eine solche Tarnung anhaben. Aber einige wenige Seiten kann man überhaupt nur betreten, wenn man derart anonym ist: Dies ist das Darknet.

"Technisch ist im Tor-Netz für Strafverfolger nichts zu machen, Punkt", sagt Andreas May. Der Staatsanwalt leitet seit 2010 die hessische Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT), eine kleine Einheit aus nur sechs Juristen, und er betont: Auf manchen Darknet-Seiten, sogenannten Hidden wikis, lebten auch politische Debatten von Bürgern aus Diktaturen wie Syrien oder China auf, diese Anonymisierung zu verbieten wäre deshalb falsch. Zu den Sponsoren der dezentralen Verschlüsselungstechnik "Tor" zählen unter anderem die schwedische Agentur für internationale Entwicklung (2010-2013), das deutsche Außenministerium (2015) und aktuell eine Vielzahl amerikanischer Forschungsstiftungen.

Aber wenn May und seine Staatsanwaltskollegen sich heute an einen Richter wenden, um einen Lauschangriff zu beantragen, dann beantragen sie diesen meist nur noch für wenige Tage. Sie erhoffen sich wenig. In aller Regel sehen sie nur weißes Rauschen auf allen Kanälen, sagt der Strafverfolger. Von Jahr zu Jahr diskutiert die Politik in Deutschland über neue, zusätzliche Überwachungsmethoden. Der technische Fortschritt der Verschlüsselung aber galoppiert schneller davon.

Erfolg haben interessanterweise jene Ermittler, die inmitten dieser neuen Welt zu ganz klassischen Methoden zurückkehren. Ermittlungen im Darknet beginnen damit, dass Beamte Dinge kaufen: Als die Ermittler-Einheit von Staatsanwalt May im Jahr 2010 anfing, kam es noch vor, dass Drogen- oder Waffenhändler ihre Fingerabdrücke auf den verschickten Paketen hinterließen. "So blöd ist inzwischen niemand mehr." Heute nähmen Händler oft Reisen auf sich, um ihre Pakete von unterschiedlichen Orten aus abzusenden; und sie schickten sie nur an anonyme Packstationen. Hilft die Spurensicherung also nicht, so wird für Ermittler der menschliche Faktor umso wichtiger - das Motivieren von Kronzeugen.

Paragraf 46b des Strafgesetzbuchs erlaubt es Ermittlern, einem Verdächtigen ein Geschäft anzubieten: Er bekommt eine mildere Strafe, wenn er hilft, andere zu enttarnen. Viele verhalten sich kooperativ, erzählen Strafverfolger: Die Angst vor dem Gefängnis ist groß, die Loyalität zu anonymen Bekanntschaften gering. So übernehmen Ermittler ihre Accounts, schlüpfen in ihre Identität. Und so erhalten sie Zugang zu Chatrooms, in die sie sonst nie kämen. Bernhard Egger, Chef der Abteilung "Netzwerkfahndung" im bayerischen Landeskriminalamt, erzählt von Chats, in die man nur eintreten darf, wenn man selbst ein Kind live vergewaltigt. Dabei müssen Neuankömmlinge einen Zettel in die Kamera halten, auf dem ein abgesprochener Code zu sehen ist.

In den USA übernehmen Strafverfolger teils ganze Plattformen. Bei dem einst größten Kinderporno-Marktplatz der Welt, "Playpen", gelang es dem amerikanischen FBI im Jahr 2014, in die Rolle des Administrators zu schlüpfen. Zwei Wochen lang betrieb man die Plattform weiter. Die Macht- und Vertrauensposition ermöglichte es, weitere Verdächtige zu enttarnen. Reizen würde das auch die Deutschen, technisch möglich wäre es ihnen auch - bei der Plattform "Deutschland im Deep Web" haben sie kürzlich schon den mutmaßlichen Administrator in Karlsruhe entdeckt, einen 31-Jährigen, und im Fall der Kinderporno-Seite "Elysium" einen 39-Jährigen nahe Limburg. Für die Ermittler würde es bedeuten, dass man für eine begrenzte Zeit weiter den sexuellen Missbrauch von Kindern möglich macht. Es hieße, eine moralische Last auf sich zu laden - um eine viel größere Menge von zukünftigen Straftaten zu verhindern. Aber hier ist das deutsche Recht strenger als das amerikanische. "Uwe" darf sich nur sehr begrenzt die Finger schmutzig machen, da gelten im Darknet dieselben Regeln wie auch sonst für verdeckte Ermittler.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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