Interview:Asylbewerber wider Willen

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Geflüchtete warten Mitte März am Bahnhof in Görlitz auf ihre Weiterreise. (Foto: Andre Lenthe/Imago)

Rechtsanwältin Berenice Böhlo hilft Kriegsflüchtlingen ohne ukrainischen Pass. Sie spricht über die Probleme an der Grenze, fehlerhaftes Verhalten von Behörden und die Frage, ob alle Geflüchteten gleich behandelt werden sollten.

Von Friedrich Conradi, Berlin

In ihrer Kanzlei am Hackeschen Markt in Berlin Mitte ist immer viel los, denn Berenice Böhlo ist eine gefragte Anwältin für Asyl- und Aufenthaltsrecht. Wie schon in der größeren Flüchtlingsbewegung nach Europa 2015 hilft sie nun im Ukraine-Krieg geflüchteten Menschen dabei, ihre Rechte in Deutschland wahrzunehmen.

SZ: Frau Böhlo, was sind die typischen Probleme von Menschen aus Drittstaaten, die aus der Ukraine hierher fliehen?

Berenice Böhlo: Die von der EU erstmals beschlossene Anwendung der Massenzustromrichtlinie umfasst neben ukrainischen Staatsangehörigen und ihren Familienangehörigen zwar auch Drittstaatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht in der Ukraine hatten. Aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Sie dürfen zwar ohne Visum nach Deutschland einreisen und sich hier einige Monate aufhalten, ihnen wird aber nicht automatisch ein zweijähriger Schutz gewährt. Wenn sie in der EU bleiben wollen, müssen sie nachweisen, dass sie nicht in den jeweiligen Drittstaat zurückkehren können.

Haben Sie ein Beispiel?

Ja. Ich berate zwei Menschen aus Iran, die zum Christentum konvertiert sind. Darauf steht in Iran die Todesstrafe. Die Herausforderung in solchen Fällen ist dabei, nachzuweisen, dass man tatsächlich konvertiert ist. Solche Dinge können mitunter sehr komplex werden.

Berenice Böhlo, Jahrgang 1971, ist seit 2002 als Rechtsanwältin in Berlin tätig mit dem Schwerpunkt Migrations- und Sozialrecht. Sie ist Mitglied im Vorstand des Republikanischen Anwaltsvereins. (Foto: Metodi Popow/imago images)

Was sind weitere Probleme aus der Ukraine Geflüchteter mit Drittstaatsangehörigkeit? Was berichten Ihre Mandanten?

Sie werden in der Praxis anders behandelt - auch wenn sie einen legalen Aufenthalt in der Ukraine nachweisen und einen Pass besitzen, also legal einreisen dürfen. An der Grenze werden ganz systematisch People of Color aus den Zügen geholt und festgehalten. Immer wieder werden den Geflüchteten anschließend auch Dokumente abgenommen, häufig ohne rechtliche Grundlage. Hierbei handelt die Bundespolizei nach meiner Auffassung zum Teil rechtswidrig.

Welche Probleme gibt es bei den Verfahren noch?

Geflüchtete mit vorherigem Aufenthalt in der Ukraine werden als Asylsuchende eingestuft, obwohl sie gar keinen Asylantrag gestellt haben. Ein Mandant von mir ist beispielsweise ein marokkanischer Student aus der Ukraine, der nie einen Asylantrag stellen wollte. Dennoch ist er gegen seinen Willen als Asylantragsteller registriert worden.

Warum ist die falsche Einordnung in ein Asylverfahren ein Problem?

In dem Moment, in dem ein Asylantrag gestellt wird, erlischt die visafreie Einreise. Problematisch ist, dass der Antrag auf Sozialleistungen teilweise als Asylantrag gewertet wurde. Hier wird in Anträge etwas hineingelesen, das gar nicht beabsichtigt ist.

Das Problem der aus der Ukraine fliehenden People of Color ist also nur in Teilen ein juristisches.

Ja. Ein teilweise relativ progressiver Rechtsrahmen, der den Drittstaatsangehörigen eine Aufnahme ermöglichen sollte, trifft auf problematisches Verhalten seitens einiger Behörden. Sei es fehlerhaftes Bearbeiten der Anträge. Oder dass die Polizei nichtweiße Geflüchtete aus den Zügen holt.

Wie gehen Sie vor, wenn Dokumente rechtswidrig eingezogen wurden?

Wir schreiben die jeweilige Behörde an und fordern die sofortige Herausgabe der Dokumente. Leider kann es dennoch mitunter Wochen dauern, bis beispielsweise Pässe wieder herausgegeben werden.

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Was versuchen Sie für Ihre Mandantinnen und Mandanten zu erreichen? Ist das Ziel, dass sie bleiben dürfen, oder geht es um mehr, wie etwa die Möglichkeit zu arbeiten?

Das kommt ganz darauf an. Es geht hier ja auch um ganz verschiedene Gruppen von Menschen. Für eine Familie mit Kindern versuchen wir andere Dinge zu erreichen als für Studierende aus Drittstaaten, die hier ihr Studium fortsetzen wollen.

Auch das ist eine Situation, von der man immer wieder hört. Junge Menschen, die in die Ukraine gegangen sind, um zu studieren, und die nun vor dem Nichts stehen. Ohne zu wissen, ob die langen Studienjahre umsonst waren.

Wir versuchen für diese Menschen zu erreichen, dass sie hier möglichst umgehend weiterstudieren können, ohne in ihren Herkunftsstaat zurückgeschickt zu werden und über die Botschaft praktisch von vorn anfangen zu müssen. Gerade mit der Viadrina in Frankfurt Oder und der Universität Hamburg haben wir hier gute Erfahrungen gemacht.

Gemessen an der Zahl an Ukrainerinnen und Ukrainern dürfte die Zahl der vor dem Krieg Geflüchteten aus Drittstaaten überschaubar sein. Wäre es nicht einfach für die EU, sie genau wie ukrainische Staatsangehörige zu behandeln und zu verteilen?

Ich argumentiere hier ungern mit Zahlen. Aber in der Tat handelt es sich nicht um unüberschaubar viele Menschen. Es wird auch hier erneut sichtbar, dass nichtweiße Menschen bei ihrer Flucht in die EU schlicht anders behandelt werden. Das fängt schon dabei an, dass nun die Massenzustromrichtlinie aktiviert wurde und 2015 beim Krieg in Syrien nicht. Ich begrüße natürlich, dass das nun geschehen ist. Aber man sieht auch, welche Unterschiede gemacht wurden und werden.

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Betreuen Sie noch heute Menschen, die 2015 nach Deutschland kamen?

Ja. Viele von ihnen haben bis heute große Probleme mit ihrem Aufenthaltsstatus oder ihre Familie ist über die halbe EU verstreut, je nachdem, wo man durch die jeweiligen Schleuser gelandet ist. Es wäre natürlich sinnvoll, die Familien zusammenzuführen. In der Praxis tut sich die EU damit bis heute sehr schwer.

Was ist Ihr Fazit aus dem bisherigen Flüchtlingszustrom aus der Ukraine?

Man sieht, dass, wenn der politische Wille da ist, ein viel pragmatischerer Umgang mit Geflüchteten möglich ist. Die zahllosen hochaufwendigen Einzelverfahren sind nicht notwendig. Man kann unkomplizierte aufenthaltsrechtliche Perspektiven schaffen. Die Frage ist nur, für wen man es tut, und für wen nicht.

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