Krieg im Kaukasus:Propaganda 2.0

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Der Kampf um die Deutungshoheit zwischen Russland und Georgien ist voll entbrannt. Er tobt parallel zu den Gefechten auf allen Kanälen - im Fernsehen, in Zeitungen und vor allem im Internet.

Matthias Kolb

Es ist ein bekanntes, fast abgedroschenes Zitat: "Wenn der Krieg ausbricht, ist das erste Opfer die Wahrheit." Doch die 91 Jahre alte Erkenntnis des US-Senators Hiram Johnson gilt auch 2008: Fünf Tage lang wurde in Georgien gekämpft und immer war die Lage vor allem eines: unübersichtlich. Für Journalisten ist es schwer, Behauptungen der Kriegsparteien zu bestätigen und diese von unabhängigen Stellen verifizieren zu lassen. So kämpfen die Hardliner in Russland und Georgien darum, die Meinungen im Rest der Welt in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Zwei Georgierinnen sehen im Fernsehen eine Ansprache ihres Präsidenten Michail Saakaschwali. (Foto: Foto: dpa)

Ein Beispiel: Russlands Botschafter in Georgien verbreitete die Nachricht, in der ersten Kriegsnacht seien durch die georgischen Angriffe auf Zchinwali 1500 Menschen gestorben. Es dauerte Tage, bis sich Hilfsorganisationen einen Überblick verschafft hatten. Eine Vertreterin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht in der Frankfurter Rundschau von etwa 200 Verwundeten aus dem Gebiet Zchinwali. Niemand kennt die tatsächliche Zahl der Toten genau, aber sie dürfte deutlich niedriger liegen als von der russischen Seite verbreitet. Das Ziel wurde erreicht: Die Zahlen kursierten tagelang, wurden vermeldet und setzen sich - so die Hoffnung - in den Köpfen fest.

Da es im Krieg vor allem um Bilder geht, kommt den TV-Sendern große Bedeutung zu. Georgien blockierte am Wochenende russische Sender, der staatliche Rundfunk zeigte vor allem Filme und später Bilder von Sitzungen des nationalen Sicherheitsrats - jedoch keine Aufnahmen aus Südossetien.

Im Riesenreich Russland finden sich deutlichere Beispiele für Manipulationen: Der Staatssender Westi strahlte zwischen Nachrichtenstücken auch emotional anrührende Beiträge aus: Untermalt von getragener Musik zeigen sie weinende Mütter mit ihren Babys, zerschossene Häuser und Flüchtlinge. Der Sender Rossija soll nach Recherchen des kritischen Radiosenders Echo Moskwy in Beiträgen georgische Verletzte als verwundete Südosseten ausgegeben haben.

Die russische Sicht

Die Frankfurter Rundschau berichtet von einem interessanten Fall beim Nachrichtensender Russia Today (RT). Dessen Korrespondent in Tiflis, der Brite William Dunbars, erwähnte am vergangenen Samstag in einer Live-Schaltung, russische Flugzeuge hätten auch die außerhalb Südossetiens gelegene Stadt Gori attackiert. Russische Bomben hätten auch Häuser getroffen. Es sollte der letzte Bericht von Dunbars bleiben - RT habe weitere Satellitenschaltungen abgesagt. Der 25-Jährige, der inzwischen gekündigt hat, sagte der Frankfurter Rundschau: "Die Fakten passten nicht zu dem, was Russia Today senden wollte."

Russia Today wirbt auf seiner Website, der Nachrichtenkanal wolle die russische Sicht auf Ereignisse inner- und außerhalb Russlands präsentieren. Dabei setzt RT verstärkt auf das Internet und die Plattform YouTube: Dort finden sich viele Beiträge über den Konflikt. Keineswegs sind alle Informationen falsch oder verdreht, aber man entdeckt viele Gerüchte, Andeutungen und Wertungen: Angeblich setze die georgische Armee Söldner aus der Ukraine und den USA ein, der Angriff auf Südossetien sei eine "ethnische Säuberung". Pikant: Ein Beitrag thematisiert, wie in Georgien über den Konflikt berichtet wird und den Bürgern angeblich Informationen vorgehalten werden.

Banditen oder Brüder

Die Wortwahl der Spitzenpolitiker variiert je nach Adressat: Wenn Präsident Michail Saakaschwili in den vergangenen Jahren mit den georgischen Einheimischen über Südossetien oder Abchasien redet, dann wurde der 41-Jährige mehr als deutlich: Die Führer Südossetiens seien "Banditen", die Abchasen nannte er "Hyänen, die sich in den Regierungsgebäuden verschanzt haben".

Bei Interviews und Treffen mit westlichen Zuhörern war der in den USA ausgebildete Jurist zurückhaltender und sprach von "unseren Brüdern in Südossetien und Abchasien". Der telegene Präsident war oft bei CNN zu sehen, doch mehrmals stellten sich seine Aussagen als falsch oder übertrieben heraus - etwa die Behauptung, dass russische Soldaten auf dem Vormarsch in Richtung Tiflis seien. Trotzdem hatte Saakaschwili die Agenda bestimmt.

Auch das georgische Staatsfernsehen hat einige Beiträge bei YouTube online gestellt - allerdings in georgischer Sprache und nicht in solch technisch guter Qualität. Doch es sind nicht nur offizielle Medien, die im Internet um die Meinungshoheit ringen. Es finden sich auch Video-Clips mit Titeln wie "Georgian Terrorism in Ossetia: Year 1990-1992". Direkt neben dem Titel findet sich ein Link zu einer russischen Website, die den angeblichen Völkermord in Südossetien anklagt - inklusive englischer Übersetzung. Es scheint, als seien Videobotschaften, die zu Frieden und Verständigung aufrufen, momentan eindeutig in der Unterzahl.

Unklarheit über Hackerangriffe

Widersprüchlich sind die Angaben zu den Vorwürfen, russische Hacker hätten georgische Regierungsseiten lahmgelegt oder blockiert. Ein Sprecher des georgischen Außenministeriums sagte am gestrigen Montag der Nachrichtenagentur Reuters: "Eine russische Cyberwar-Attacke stört den Betrieb mehrerer georgischer Websites auf empfindliche Weise".

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Rolle soziale Netzwerke wie Facebook spielen.

Dies erinnert an den Frühling 2007, als estnische Websites nach der Verlegung eines Sowjetdenkmals in Tallinn tagelang nicht erreichbar waren. Die estnische Regierung machte den Kreml verantwortlich, konnte die Vorwürfe aber nie bestätigen. Als sicher gilt jedoch, dass in einschlägigen Internetforen Anleitungen kursierten, um die Server der Baltenrepublik lahmzulegen.

Der Kampf um die Meinungen findet seit einigen Jahren verstärkt auf Videoplattformen und in sozialen Netzwerken wie Facebook oder StudiVZ statt. Wenige Stunden nach dem Ausbruch der Kämpfe entstanden bei StudiVZ die Gruppen "Abchasien ist Teil Georgiens", "Putin, Hände weg von Georgien" sowie "Stopp zu russischer Aggression gegen Georgien".

Fast alle Konflikte finden sich bei Facebook in verschiedenen Gruppen wieder: Wer "I hate Pakistan" oder "Kosovo is Serbia" beitritt, bezieht klare Stellung. Laut einer Studie des New Yorker Simon-Wiesenthal-Zentrums vom Mai 2008 ist die Zahl der Websites, die Hass und Gewalt schüren, um 30 Prozent auf derzeit 8000 gestiegen. Dies mag auf den ersten Blick als klein erschienen, doch die Szene der Nationalisten und Eiferer ist gut vernetzt und oft technikaffin. So landen Websites mit falschen historischen Fakten bei Suchmaschinen oft weit oben - und beeinflussen die öffentliche Meinung.

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