Krieg im Kaukasus:Die georgische Version

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Wie Russland hat auch Georgien Zeugenaussagen gesammelt. Sie zeigen: Moskau soll versucht haben, in Abchasien und Südossetien eine einheitlich russlandtreue Bevölkerung zu schaffen.

Nicolas Richter

Vier Tage nach dem Ausbruch des Krieges zwischen Russland und Georgien am 8. August suchte die georgische Regierung bereits Hilfe beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag. Weil schnell absehbar war, dass die Georgier der militärischen Übermacht Moskaus nichts entgegenzusetzen hatten, versuchten sie sich mit juristischen Mitteln zu wehren.

Georgien wirft Russland "ethnische Säuberungen" gegen Georgier in den Provinzen Südossetien und Abchasien vor. (Foto: Foto: AFP)

Georgien hat vor dem IGH gefordert, dass die russischen Sicherheitskräfte ihre "ethnischen Säuberungen" gegen Georgier in den umkämpften georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien unterlassen. Der Vorwurf lautet, dass der russische Staat versucht, alle ethnischen Georgier aus diesen Provinzen zu vertreiben, wobei er sich auf sein Militär stützt, vor allem aber auf die Separatisten in den beiden Regionen. Gemeinsames Ziel sei es gewesen, in Abchasien und Südossetien eine einheitlich russlandtreue Bevölkerung zu schaffen. Damit würde Moskau volle Kontrolle über diese Gebiete erlangen.

Die Richter am IGH haben von der Regierung in Tiflis eine Art Beweissammlung erhalten, die die Verbrechen dokumentieren soll. Sie liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Darin finden sich die Vernehmungen von Vertreibungsopfern, die vor den georgischen Justizbehörden ausgesagt haben.

Wie die von Russland gesammelten Aussagen sind auch diese Zeugnisse eine politische Ware, die von der Regierung benutzt wird, um die Deutungshoheit über diesen Konflikt zu erlangen.

Die SZ dokumentiert Auszüge. Der IGH hat für den 15. Oktober eine Entscheidung darüber angekündigt, ob er in dem Eilverfahren Russland dazu auffordert, die Georgier in Südossetien und Achasien nicht weiter zu verfolgen.

Flucht nach Gori

Jimscher B., 59, aus dem Dorf Achabeli, Südossetien: "Ich war im Dorf, als sich eine riesige Kolonne von Panzern und russischen Soldaten näherte. Sie fragten uns, ob das georgische Territorium in der Nähe sei. Ich sagte: Dies ist Georgien und wir sind Georgier. Die russischen Soldaten entgegneten: Wenn ihr Georgier seid und überleben wollt, dann lauft weg. Sonst würden wir sterben. Er sagte: Ihr seht, was hier passiert. Wollt ihr sterben?

Nachdem die russischen Soldaten das Dorf verlassen hatten, kamen hundert ossetische Milizionäre nach Achabeli, zu Fuß und in Autos. Nachdem sie die Häuser geplündert hatten, zündeten sie sie an. Ich habe Achabeli am 10. August verlassen, weil ich Angst hatte. Omar B. hat sich geweigert, das Dorf zu verlassen. Er sagte, dass er sicher sei, denn er würde die Hände der Russen und Osseten schütteln und sie würden ihm nichts antun. Später, auf der Flucht nach Gori, traf ich einen Nachbarn, er sagte mir, Omar sei getötet worden. Er habe seine Leiche gefunden. Er hatte keine Zeit, Omar zu beerdigen, also wickelte er die Leiche in eine Decke. Omars Kopf war abgetrennt."

Rettendes Tuch

Klara K., 68, aus dem Dorf Oberes Achabeti, Südossetien: "Ich bin Ossetin, aber mit einem Georgier verheiratet. Mein Dorf wurde mehrere Tage lang von der russischen Armee und ossetischen Milizen besetzt. Ich hatte ein gutes Verhältnis zu den Russen, denn ich gab ihnen Essen. Einer der russischen Offiziere hatte zwei Sterne auf den Schultern. Er sagte, er lebe in Moskau.

Ich fragte ihn, warum die Russen es den ossetischen Milizen erlauben, die Häuser der Georgier niederzubrennen. Er sagte, die Russen hätten kein Recht, die Osseten zu stoppen. Die russischen Soldaten hängten weiße Tücher an die Häuser, in denen sie sich niederließen. Weil ich Angst hatte, sagte mir der Offizier, ich solle ein weißes Tuch an mein Haus hängen; um den Osseten zu zeigen, dass mein Haus nicht verbrannt werden solle. Der Offizier sagte, dass diese Gebäude, auch meines, nicht in Brand gesteckt würde, solange die Russen im Dorf blieben. Die Osseten brannten dann alle Häuser nieder, außer die, in denen die Russen wohnten, und meines."

Ruin eines Dorfes

Joni M., 47, aus dem Dorf Ganmuchuri, Abchasien (Aussage vor dem Staatsanwalt in Sugdidi, Georgien, am 30. August): "Ich war Bürgermeister bis zum 10. August, als unser Dorf von russischen Streitkräften und abchasischen Separatisten besetzt wurde. Ich musste das Dorf mit meiner Familie verlassen und überquerte die Brücke hinüber auf das Gebiet Darchili (georgisches Kernland, Anm. d. Red.). Mein Freund Tengis S. berichtete von einem Treffen mit dem Vertreter der abchasischen Separatisten-Regierung im Dorf. Sie sagten, dass georgische Pässe jetzt nutzlos seien; wenn die Leute in ihren Dörfern bleiben wollten, müssten sie russische Pässe annehmen.

Soweit ich weiß, haben sich die Bürger von Ganmuchuri geweigert, deswegen wurden sie gezwungen, zu gehen und sich in anderen Dörfern bei Sugdidi (georgisches Kernland, Anm. d. Red.) zu verstecken. Ich bin mehrmals täglich zur Brücke gegangen, um mit Freunden und Verwandten aus dem Dorf zu reden. Mir ist nicht bekannt, dass russische Soldaten oder abchasische Separatisten die Zivilisten ermordet oder verletzt hätten. Aber die Bürger dürfen nicht in ihre Häuser. Jetzt ist die Erntezeit für Nüsse, es ist die Haupteinnahmequelle für die Bevölkerung, aber sie können nicht mit der Ernte beginnen, was große finanzielle Verluste bedeutet.

Die abchasischen Separatisten haben folgende Vorschrift erlassen: Sie fordern eine Gebühr von fünf Lari (2,50 Euro, d. Red) für jeden Sack Nüsse, der über die Brücke nach Sugdidi (also in Richtung des georgischen Kernlandes, d. Red.) transportiert wird. Wenn die Leute sich weigern, dürfen sie die Nüsse nicht nach Sugdidi bringen. Das Dorf Ganmuchuri hat eigentlich 1800 Einwohner, aber es sind nur 300 übrig, überwiegend alte Leute. Das Dorf ist wirtschaftlich zerstört, weil die Leute nicht ernten dürfen."

Tod eines Neunzigjährigen

Saira K., 71, aus dem Dorf Kechwi, Bezirk Gori, georgisches Kernland, aber im Krieg russisch kontrolliert (Aussage vor dem Staatsanwalt in Tiflis am 21. August): "Als die Militäraktion begann, haben wir unsere Häuser zunächst nicht verlassen. Am 13. August aber kamen die ossetischen Separatisten ins Dorf und schrien, wir sollten aus dem Ort verschwinden. Sie haben dann sofort unsere Häuser durchsucht, ausgeraubt und angezündet. Es waren keine georgischen Truppen im Dorf, ich weiß nicht, warum man uns bombardiert hat.

Es war wohl der 8. August, als russische Flugzeuge unser Dorf bombardierten, eine Bombe fiel auf das Nachbarhaus und tötete Grischa und Kato Kachniaschwili. Am 10. August brannten die Osseten Häuser nieder. Vaso Kachniaschwili, 90, konnte sich nicht retten und verbrannte im Haus. Marika und Tina Kachniaschwili verließen das Dorf im Auto, als eine Bombe sie tötete."

Lesen Sie hier die russische Version.

© SZ vom 11.10.2008/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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