Krieg im Kaukasus:Die russische Version

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Das georgische Militär wollte demnach das ossetische Volk in seiner Provinz Südossetien auslöschen - und zwang Moskau damit zum Eingreifen. Zeugenaussagen sollen dies belegen.

Sonia Zekri

Die Moskauer Führung verlor keine Zeit. Zwei Tage nach dem Kriegsbeginn zwischen Russland und Georgien am 8. August beauftragte der russische Präsident Dmitrij Medwedjew den Leiter des Ermittlungskomitees, Alexander Bastrykin, mit der Untersuchung georgischer Verbrechen in Südossetien. Russland brauche Beweise, falls es die Verantwortlichen vor Gericht bringen wolle, sagte Medwedjew, aber auch "für die internationale Beurteilung" des Krieges. Zum ersten Mal sprach der Präsident dabei von "Völkermord".

Georgiens Präsident Michail Saakaschwili hat Zivilisten in seinem eigenen Land ermorden lassen - und so den Konflikt ausgelöst, ist sich Moskau sicher. Proteste gegen Saakaschwili vor dem Europarat in Straßburg im September 2008. (Foto: Foto: Reuters)

Inzwischen hat Bastrykin Tausende Zeugenaussagen gesammelt ( siehe Interview). Noch hat Russland nicht gegen Georgien vor internationalen Gerichten geklagt, aber für Moskaus Darstellung des Kriegsausbruchs und -verlaufs spielen die Protokolle eine wichtige Rolle.

Moskau macht geltend, dass es zum Eingreifen verpflichtet war, weil das georgische Militär das ossetische Volk in seiner Provinz Südossetien auslöschen wollte. Die jahrelangen georgischen Schikanen haben nach russischem Verständnis zu einer Zwangslage geführt, die - ähnlich wie einst im Kosovo - eine militärische Intervention erzwang und am Ende sogar die Anerkennung der separatistischen Republik.

Die Aussagen ossetischer Zeugen, die die Süddeutsche Zeitung in Auszügen veröffentlicht, beschreiben eine Eskalation, die sich ausgerechnet am Vorabend des Krieges zu lösen schien. Und sie zeigen: Georgiens Präsident Michail Saakaschwili, der sich stets als Opfer russischer Aggression dargestellt hat, hat Zivilisten in seinem eigenen Land ermorden lassen und so den Konflikt ausgelöst.

Angriff in der Nacht

Sergej Ch., 39, aus Zchinwali, Südossetien: "Anfang August wurde Zchinwali aus Georgien beschossen. Mein Haus hat einen soliden Keller aus Beton, dorthin flüchtete ich mit meinen Nachbarn. Am 7.August erklärte der georgische Präsident Michail Saakaschwili, dass Georgien seine Truppen einseitig abziehen und es keinen Beschuss von Zchinwali und den ossetischen Orten mehr geben würde. Er sagte auch, es würden nun Gespräche zwischen Georgien und Südossetien beginnen. Alle haben ihm geglaubt. Nach einiger Zeit aber wurde Zchinwali mit schwerer Artillerie und mit Salven aus Grad-Raketenwerfern schwer beschossen. Ich habe in den sowjetischen Streitkräften gedient und kann beides unterscheiden. Auf das Haus meines Nachbarn Irakli Kosajew fielen Grad-Geschosse. Ich erfuhr, dass Kosajews Bruder Albert, dessen Frau und Mutter dabei gestorben sind."

"Lasst niemanden am Leben"

Tamara B., 64, aus dem Dorf Chetagurowa: "Gegen Mittag (des 7. August, Anm. d. Red) ließ der Beschuss nach, danach kamen georgische Panzer und Soldaten. Wer konnte, floh in den Wald. Unter den Soldaten waren auch Angehörige anderer Länder, die weder georgisch noch russisch sprachen. Schwarze, Menschen mit schrägen Augen, ich glaube Koreaner, Angehörige muslimischer Staaten.

Fast alle Bewohner wurden in der Mitte des Dorfes zusammengetrieben. Die Soldaten gingen durch die Straßen, erschossen gezielt Zivilisten, im Dorf brach Panik aus, überall schrien Frauen und Kinder. Vor meinen Augen erschoss ein georgischer Soldat einen unbewaffneten Angehörigen der Friedenstruppen, Kabisow. Vor meinen Augen überrollte ein Panzer zwei junge Männer. Ich hörte ihre Schreie. Einer der georgischen Soldaten, offenbar ein Kommandeur, schrie auf Englisch einen Befehl, danach brüllten die Soldaten auf Georgisch: Lasst niemanden am Leben."

Panzerschuss auf Chubajew

Tamara G., 69, aus dem Dorf Nog-Kau, Südossetien: "Ich lief um unser Haus, unbemerkt von den Georgiern, um unsere Nachbarn zu warnen. Bei mir waren mein Mann und meine Tochter. In unserem Haus war also keiner mehr. Als ich 100 Meter von unserem Haus entfernt war, sah ich unseren Nachbarn, Wadim Chubajew, ich vermute, er wollte sich ansehen, wer da vorbeiging.

Er trug zivile Kleidung und war unbewaffnet. Als die georgischen Soldaten ihn sahen, richteten sie die Kanone ihres Panzers auf ihn und schossen. Von Chubajew blieben nicht mal Fetzen übrig. Dann sah ich, wie die georgischen Soldaten ihre Kanone auf unser Haus richteten und es in Trümmer schossen. Ich glaube, die Georgier wollten (Südossetien, Anm. d. Red.) säubern, also die Osseten vertreiben und sich das Land zurückholen. Ich glaube, dass das georgische Volk diesen Krieg nicht wollte, wohl aber die Regierung."

"Kommt raus! Ergebt euch!"

Marina Dsch., 34, aus Zchinwali: "Gegen 21 Uhr hörten wir auf Russisch Schreie: 'Kommt raus! Ergebt euch! Wir sind gekommen, um Russen und Osseten zu erschlagen!' Dann flog eine Handgranate in den Keller, in dem wir saßen; Alan Bestajew fing sie auf. Er warf sie sofort auf die Straße, wo sie explodierte."

Tödliche Splitter

Marina D., 22, aus Zchinwali: "Im Nachbarbunker war ein Verwandter, Ruslan Gaglojew. Er wollte am 9. August Zivilisten aus der Stadt bringen, aber als er das Auto und die Reifen prüfte, wurde er von Granatsplittern getroffen und starb auf der Stelle. Durch die georgischen Streitkräfte ist mein Haus zerstört worden, der geschätzte Verlust beträgt 4,5 Millionen Rubel (1,2 Mio. Euro, Anm. d. Red). Bis heute habe ich keine vollständigen Informationen darüber, wo sich alle meine Verwandten befinden, da viele in Zchinwali waren."

Ermordete Schüler

Asa B., 68, Direktorin der Schule Nr. 5 in Zchinwali: "Meine Schüler, Absolventen, Lehrer, Nachbarn wurden brutal ermordet, Sergej Tatajew, Schonasarowa, Azamas Tedejew (seine Mutter), Alan Atajew, Diana Kadschajewa, Edik Gaglojew (und seine Frau), die ganze Familie Gaglojew (drei Personen) und andere. Der Friedhof, der in den neunziger Jahren angelegt wurde (im Hof unserer Schule) wurde von Panzern beschossen und zum Teil umgepflügt."

Lesen Sie hier die georgische Version.

© SZ vom 11.10.2008/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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