Korruption in Brasilien:Geteilte Beute, leichte Beute

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Staatsgeld kassieren über Scheinangestellte? Unter diesem Vorwurf steht Flávio Bolsonaro (re.), Sohn des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. (Foto: SERGIO LIMA/AFP)

In Brasilien wird der älteste Sohn des Präsidenten angeklagt: Flávio Bolsonaro soll über Jahre hinweg Angestellte zum Schein beschäftigt haben, um über Umwege ihr Gehalt zu kassieren.

Von Christoph Gurk

Wenn Mitarbeiter ihre Arbeit nicht erledigen, ist das normalerweise ein Problem für ihren Chef, zumindest aber reichlich ärgerlich. Im Falle von Flávio Bolsonaro könnte jedoch genau das Gegenteil der Fall sein: Der älteste Sohn des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro soll während seiner Zeit als regionaler Abgeordneter mehrere Angestellte auf seine staatlich finanzierte Gehaltsliste gesetzt haben. Arbeiten aber sollten diese nie, dafür aber mussten sie einen Großteil ihrer öffentlicher Gehälter auch wieder abtreten - und zwar wohl an niemand geringeren als ihren Chef, den Präsidentensohn.

Die Staatsanwaltschaft in Rio de Janeiro hat wegen dieser Vorwürfe diese Woche nun offiziell Anklage erhoben gegen Flávio Bolsonaro und dazu gegen mehr als ein Dutzend weiterer Verdächtiger. Einige sind enge Vertraute oder sogar Familienmitglieder von Präsident Jair Bolsonaro. Gemeinsam sollen die Angeklagten eine kriminelle Vereinigung gebildet haben, um Gelder zu veruntreuen, zu unterschlagen und diese dann über Scheinunternehmen zu waschen.

Die Vorwürfe beruhen auf Ermittlungen, die angestoßen wurden durch verdächtige Geldtransfers im Umfeld des Präsidentensohns. Mittlerweile liegt der Staatsanwaltschaft aber auch die Aussage einer ehemaligen Mitarbeiterin von Flávio Bolsonaro vor. Sie gab an, bis zu 90 Prozent ihres Gehalts nach Erhalt weiterüberwiesen zu haben. Das Geld landete zwar nicht direkt auf dem Konto ihres Chefs, wohl aber auf dem eines seiner engsten Mitarbeiter. Als dieser Berater immer stärker ins Visier der Ermittler geraten war, versuchte er sich durch Flucht einer Verhaftung zu entziehen. Am Ende aber fand ihn die Polizei - versteckt im Haus eines Anwalts der Bolsonaro-Familie.

Brasilianer sind einiges gewohnt von ihren Politikern, und tatsächlich ist die Anstellung von Schein-Mitarbeitern zumindest in den niederen Rängen weit verbreitet. Sogar einen eigenen Begriff gibt es für das System: Rachadinha, auf Deutsch in etwa geteilte Rechnung oder, wie in diesem Fall, Beute. Die Gängigkeit der Praxis macht sie aber nicht weniger illegal, und dass nun ausgerechnet der Sohn des Präsidenten selbst in solche unlautere Machenschaften verstrickt ist, hat im Land für viel Aufsehen gesorgt.

Das Staatsoberhaupt trat an als angeblicher Außenseiter, der Schluss machen wollte mit Vetternwirtschaft und Bereicherung

Ein Grund dafür ist, dass Jair Bolsonaro bei den Präsidentschaftswahlen 2018 mit dem Image eines vermeintlichen Außenseiters angetreten war. Er hatte versprochen, Schluss zu machen mit der persönlichen Bereicherung im Politikbetrieb und der Kultur der Vetternwirtschaft und Bestechung, die das südamerikanische Land in allen Schichten durchzieht und seit Jahrzehnten lähmt. Statt diesen Sumpf aber trockenzulegen, scheint der Präsident nun selbst in ihm zu versinken.

Jair Bolsonaro hat sich zu den Vorwürfen und der Anklage gegen seinen ältesten Sohn noch nicht zu Wort gemeldet. Flávio Bolsonaro selbst verkündete im Netz, er habe nichts Illegales getan. Den Ermittlern dagegen unterstellt er, "bizarre" Fehler gemacht zu haben, und dies noch dazu im Vorfeld der Kommunalwahlen, die in Brasilien Mitte November stattfinden und als wichtiger Stimmungstest gelten für den Präsidenten und seine Politik.

Die Anklage gegen Flávio Bolsonaro ist dabei die erste gegen ein Mitglied der Familie, seit Vater Jair Bolsonaro 2019 sein Amt angetreten hat. Ermittlungen allerdings laufen auch gegen Flávios jüngeren Bruder Carlos. Er sitzt im Stadtrat von Rio de Janeiro und soll Verbindungen zu mafiösen Milizen haben, die weite Teile der Armenviertel kontrollieren. Dazu soll er Kopf einer Bande sein, die gezielt Falschmeldungen gegen den brasilianischen Obersten Gerichtshof gestreut haben soll.

Die Bundespolizei nahm deswegen Ermittlungen auf, als dies jedoch bekannt wurde, entließ Jair Bolsonaro umgehend den Chef der Behörde. In der Öffentlichkeit löste das einen Aufschrei der Entrüstung aus, schien es doch so, als wolle der Präsident seine Macht nutzen, um Ermittlungen zu behindern. Der Justizminister reichte aus Protest seinen Rücktritt ein, und am Ende ordnete das Oberste Gericht abermals Ermittlungen an, diesmal aber nicht gegen einen der Söhne von Jair Bolsonaro, sondern gegen den Präsidenten selbst. Brasiliens Justiz zumindest scheint weder Arbeit noch Mühen zu scheuen.

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