Korruption:Die Reinemachfrau

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Politik-Karrieren enden oft auf Laura Kövesis Schreibtisch: zu Besuch bei Rumäniens oberster Korruptionsjägerin.

Von Florian Hassel, Bukarest

Könnte Laura Kövesi wie sie wollte, würde sie gern mal wieder eine Partie Basketball einschieben. Schließlich war die hochgewachsene Frau mit den schwarzen Haaren lange eine begeisterte Spielerin. "Doch dafür müsste ich mich mit anderen im Voraus verabreden - das ist unrealistisch bei meinem Job", sagt Kövesi. Ihr Beruf ist die Jagd auf Rumäniens korrupte Beamte und Minister, sie ist ständig im Einsatz. Kövesi, Staatsanwältin und Chefin der Anti-Korruptionsbehörde DNA, jagt die ganz großen Fische.

Der größte, der ihr bisher ins Netz ging, ist Victor Ponta. Der war Rumäniens Regierungschef, als Kövesi ihn im September 2015 wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Dokumentenfälschung anklagte. Im April 2016 begann der Prozess gegen den zwischenzeitlich wegen eines anderen Skandals zurückgetretenen Politiker.

Der Ex-Regierungschef ist vor Gericht in guter Gesellschaft: Allein 2015 hat die DNA 1258 Amtsträger angeklagt, neben Ponta fünf Minister, 21 Parlamentarier, mehr als Hundert Kreisratschefs und Bürgermeister. Ende Mai klagte die DNA nun den zweithöchsten Amtsträger im Staat an: Călin Popescu Tăriceanu, Präsident der oberen Parlamentskammer, soll über seine Beziehung zu Beteiligten an einem Grundstücksbetrug gelogen und einen Meineid geschworen haben, den Ermittlern zufolge umfasste der Schaden 150 Millionen Euro. Auch Ponta, trotz Rücktritts als Ministerpräsident immer noch ein mächtiger Mann in Parlament und Partei, ist weiter im Visier der DNA: Diesmal, weil er als Regierungschef einem kasachischen Ölkonzern 600 Millionen Dollar Schulden erließ, die Ermittler wittern Korruption.

Kövesi und ihre Kollegen ermitteln offenbar gründlich, fast neunzig Prozent ihrer Anklagen führen zu Verurteilungen. "Arbeit und Ergebnisse der DNA sind in Ost- und Südosteuropa einmalig", sagt Sorin Ionita von der Initiative Expert Forum, die sich für saubere Amtsführung in Verwaltung und Politik einsetzt. "Weder in Bulgarien, Serbien oder der Ukraine gibt es Vergleichbares." Auch die EU-Kommission lobt die DNA, Frankreich zeichnete Kövesi als "Ritterin der Ehrenlegion" aus.

Der Premier war sich sicher, die Behörde "unter Kontrolle zu haben". Jetzt sitzt er in Haft

Rumänien verdankt die Institution dem EU-Beitritt. "Der damalige Regierungschef Adrian Nastase dachte: Wir gründen eine Sonderbehörde gegen Korruption und stellen Brüssel zufrieden. Aber wir werden die Staatsanwälte schon unter Kontrolle halten", sagt Ionita. "Da hatte er sich getäuscht." Schon unter Kövesis Vorgänger wurde die DNA unabhängig - und Nastase 2006 zum ersten Ex-Regierungschef, der wegen Korruption und Erpressung ins Gefängnis musste.

Laura Kövesi war 2006 mit 33 Jahren die jüngste Generalstaatsanwaltin Rumäniens und die erste Frau in diesem Amt, bis sie 2013 DNA-Chefin wurde. Ihr Büro zieren nicht nur Schreibtisch und schwarze Ledersessel, sondern auch Ikonen und von ihrer kleinen Nichte gemalte Bilder. "In neun von zehn Fällen informieren uns Privatleute oder Firmen über Korruption und Amtsmissbrauch", sagt sie, die restlichen Informationen kommen von Behörden oder ergeben sich durch andere Ermittlungen. Rund 100 DNA-Staatsanwälte arbeiten in Bukarest und 14 regionalen Büros, neben eigenen Polizisten hat die Behörde auch eigene Spezialisten für Abhörtechnik. Dementsprechend unbeliebt ist die Behörde bei den Angeklagten: Kövesi wurde schon mit Hitler und Stalin verglichen, Victor Ponta nannte sie eine besessene, "völlig unprofessionelle Staatsanwältin, die versucht, sich mit erfundenen und eingebildeten Fakten einen Namen zu machen". Kövesi steht unter Polizeischutz, auch wenn sie ins Sportstudio oder zum Joggen geht.

Bei den Bürger hingegen haben die Staatsanwälte der DNA ein hohes Ansehen, einer Umfrage zufolge vertrauen ihnen zufolge 60 Prozent der Rumänen. Nur Feuerwehr und Armee haben bessere Werte. "Viele hoffen, dass die DNA unser Land rettet", sagt Elena Calistru von der Bürgerinitiative Funky Citizens, die für Transparenz und gegen Korruption kämpft. "Aber das ist zu viel erwartet. Ob in anderen Teilen der Justiz, an Universitäten oder Krankenhäusern - Korruption ist hier immer noch weit verbreitet." Cristian Ghinea von Zentrum für europäische Politik berichtet von einem Bekannten, der trotz vollständiger Unterlagen vergeblich auf eine Baugenehmigung wartete. "Dann zahlte er 300 Euro - und bekam die Genehmigung sofort. Aber die DNA kümmert sich nur um große Fälle."

Doch auch die DNA-Ermittler können längst nicht alle anklagen, die sie wollen. Das Parlament weigert sich oft, die Immunität eines mutmaßlich korrupten Abgeordneten aufzuheben, selbst wenn die DNA Beweise vorlegt. Minister gar genießen lebenslange Immunität. "Auch wenn dessen Amtszeit Jahre zurückliegt, können wir nur ermitteln, wenn das Parlament zustimmt", klagt Kövesi. Victor Pontas mutmaßliche Steuerhinterziehung, für die er nun vor Gericht steht, datiert aus seiner Zeit als Anwalt. Gegen ihn auch wegen möglicher Vergehen als Regierungschef zu ermitteln, beantragten die Staatsanwälte schon im Juli 2015 - scheiterten aber am Nein des Parlaments.

Sinkt oder steigt die Korruption? Niemand weiß es - Ermittlerin Kövesi ist vorsichtig optimistisch

Zudem bleiben angeklagte Politiker bei laufendem Prozess im Amt - und der kann in Rumänien Jahre dauern. Auch ein Schuldspruch bedeutet nicht unbedingt das politische Aus: "Nur wer direkt zu Gefängnis verurteilt wird, verliert Amt oder Mandat. Bei Bewährungsstrafen sehen wir die Verurteilten anderntags im Parlament wieder", stellt Kövesi trocken fest. Liviu Dragnea etwa, Chef der lange von Ponta geführten Partei PSD, wurde 2015 wegen Wahlfälschung rechtskräftig zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Doch Dragnea führt weiter Partei und Parlamentsfraktion und könnte sogar nächster Regierungschef werden - wenn ihn nicht noch eine neue Anklage wegen Falschangaben und Anstiftung zum Amtsmissbrauch ins Gefängnis bringt.

Immer wieder versucht jedoch das Parlament - dem übrigens 80 Prozent der Rumänen misstrauen - Dutzende verurteilte Abgeordnete rückwirkend zu amnestieren oder die Vollmachten der DNA auszuhebeln. "Ein Vorschlag war: Wir sollen bei Verurteilung auf Bewährung keine Berufung mehr einlegen können. Ein anderer: Untersuchungshaft soll bei Korruptionsanklagen abgeschafft werden", klagt Kövesi.

Doch ist Korruption in Rumänien wenigstens auf dem Rückzug? "Die Wahrheit ist: Niemand weiß es", sagt Ionita vom Expert Forum. Anfang 2013 sagten zwei Drittel der Rumänen EU-Meinungsforschern, die Korruption sei gestiegen. Doch nach persönlicher Erfahrung befragt, erklärten sich nur noch 57 Prozent betroffen, das waren 19 Prozent weniger als noch 2010, der stärkste Rückgang innerhalb der EU. Und dies war, bevor Laura Kövesi von 2013 an bewies, dass sie selbst vor einem amtierenden Regierungschef keine Angst hat. Im April wurde ihre Amtszeit um weitere drei Jahre verlängert. "Dass wir jedes Jahr mehr Anklagen erheben, könnte man als Zeichen für mehr Korruption und Amtsmissbrauch deuten", sagt sie. "Auf der anderen Seite informieren uns immer mehr Rumänen, und wir arbeiten effektiver. Ich glaube, dass sich die Mentalität langsam wandelt."

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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