Konstanz:Wahlkampf mit Tinder

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In Konstanz könnte ein Linken-Politiker zum Oberbürgermeister gewählt werden - erstmals in Westdeutschland.

Von Claudia Henzler, Stuttgart

Konstanz war 1996 die erste deutsche Stadt, in der ein Grüner zum Oberbürgermeister gewählt wurde: Horst Frank lenkte zwei Amtszeiten lang die Geschicke der Stadt am Bodensee, bis er aus Altersgründen auf eine dritte Kandidatur verzichtete. Nun könnte Konstanz wieder Geschichte schreiben und die erste Stadt in Westdeutschland werden, in der ein Linker als Oberbürgermeister ins Rathaus einzieht. Denn Luigi Pantisano, Mitglied der Linkspartei und Mitarbeiter im Stuttgarter Büro des Parteivorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Bernd Riexinger, hat gute Chancen, am Sonntag als Gewinner aus dem zweiten Wahlgang zu gehen. Er würde damit Uli Burchardt von der CDU ablösen, der seit 2012 im Amt ist - in Baden-Württemberg werden Bürgermeister für acht Jahre gewählt.

Pantisano suchte im Wahlkampf die Nähe zu "Fridays for Future" und "Black Lives Matter"

Ein Sieg Pantisanos wäre eine Rückkehr zu einem zumindest grün anmutenden Rathauschef: Seine Plakate haben die Leitfarbe Grün, Klimaschutz ist sein wichtigstes Thema, gefolgt von Wohnen und Mobilität - den öffentlichen Nahverkehr würde er mittelfristig gerne kostenlos anbieten. Der heute 41-Jährige hatte sich Anfang des Jahres zunächst als überparteilicher Kandidat beworben und wird von einem Bündnis aus grünen und linken Gruppierungen unterstützt.

Konstanz war 2019 die erste Stadt in Deutschland, die offiziell den Klimanotstand ausgerufen hat. Kandidat Pantisano will nun, dass sie schon 2030 klimaneutral wird. Amtsinhaber Burchardt hält 2035 für realistischer und verweist auf seine Erfahrung als Verwaltungschef.

Pantisano hat im Wahlkampf intensiv den Kontakt zu Initiativen wie "Fridays for Future", "Black Lives Matter" und verschiedenen Hochschulgruppen gesucht und auch stark auf das Internet und soziale Netzwerke gesetzt. Auf Initiative der Grünen Jugend warb der Kandidat sogar auf der Partnerbörse Tinder um Stimmen.

Als er beim ersten Wahlgang Ende September überraschend vorne lag, wurde in Konstanz verstärkt über ein Foto diskutiert, das zeigt, wie Pantisano im Jahr 2018 eine illegale Hausbesetzung in Stuttgart unterstützt. In Stuttgart selbst, wo er seit 2016 für die linksorientierte Liste "Stuttgart ökologisch sozial" im Gemeinderat sitzt, hat er wegen eines anderen Themas mehr Schlagzeilen gemacht: Schon seit Jahren wird der Stadtrat immer wieder wegen seiner Herkunft beleidigt und bedroht. 2019 war die Lage so ernst, dass sich Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) veranlasst sah, sich öffentlich hinter ihn zu stellen.

Pantisano ist der Sohn italienischer Eltern, die vor mehr als 40 Jahren als Gastarbeitern aus Kalabrien nach Deutschland kamen. Sein Bildungsweg zeugt von Beharrlichkeit: Von der Hauptschule hat er sich über eine Ausbildung bis zum Studium der Architektur und Stadtplanung vorgearbeitet. 2013 machte ihn die Landesregierung zu einem Gesicht ihrer Integrationskampagne. Einen Teil seines Weges hat er in Konstanz zurückgelegt. Ob er dahin zurückkehrt, entscheidet sich am Sonntag.

© SZ vom 17.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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