Konflikte:Analyse: Die Ukraine erlebt gerade ihr Lockerbie

Lesezeit: 2 min

Glasgow (dpa) - Die Flugzeug-Explosion im schottischen Lockerbie 1988 ähnelt den Ereignissen in der Ukraine stark. Damals hatten tausende Ermittler ein gigantisches Puzzle zusammengesetzt. Was geschah, ist trotzdem bis heute nicht wirklich klar.

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Glasgow (dpa) - Die Flugzeug-Explosion im schottischen Lockerbie 1988 ähnelt den Ereignissen in der Ukraine stark. Damals hatten tausende Ermittler ein gigantisches Puzzle zusammengesetzt. Was geschah, ist trotzdem bis heute nicht wirklich klar.

Die Constables in der Polizeiwache in Lockerbie genossen eine beschauliche Vorweihnachtszeit. Doch als am 21. Dezember 1988 um 19.04 Uhr schottischer Zeit der erste von zahlreichen Notrufen bei der Dumfries and Galloway Police eingeht, ist es mit der Idylle im ruhigen Westen Schottlands auf Jahre vorbei. Die Bombenexplosion an Bord des PanAm-Fluges 103 von London-Heathrow nach New York weist große Parallelen zum Abschuss der Passagiermaschine in der Ostukraine auf.

Die Trümmer beider Flugzeuge schlugen auf Land auf - anders als bei Explosionen über dem Meer können die Teile viel leichter geborgen werden. In Lockerbie kostete das einen hohen Preis: Elf Menschen am Boden starben, weil Trümmer auf ihre Häuser fielen oder ihre Wohnung in Brand geriet.

Als am 22. Dezember um 9 Uhr morgens im Kontrollraum der Polizeiwache der Krisenstab zusammentrat, war klar: 243 Passagiere, 16 Besatzungsmitglieder und 11 Einheimische fielen dem Absturz zum Opfer. Das Gebiet wurde sofort hermetisch abgeriegelt. „Niemand durfte sich in die Nähe des Unglücksortes begeben, ohne die schriftliche Erlaubnis der Polizei“, heißt es im Unfallbericht der örtlichen Feuerwehr des 4000-Einwohner-Ortes.

Die anschließenden Ermittlungen teilten sich zwei Einrichtungen, die unterschiedlicher nicht sein konnten: Die Dumfries and Galloway Constablery, Großbritanniens kleinste eigenständige Polizeibehörde. Und die US-Bundespolizei FBI. Wie die Gewichte verteilt waren, ist unschwer zu erraten. Das FBI spricht von einer „bis dahin nicht dagewesenen internationalen Zusammenarbeit“.

Noch heute sind FBI-Agenten dabei, die Einzelheiten des Vorfalls zu interpretieren und Spuren nachzugehen. „Wir haben FBI-Agenten, die Vollzeit jeder Spur nachgehen, und so machen wir das seit 25 Jahren“, sagte der frühere Chef der US-Bundespolizei, Robert Mueller, im vergangenen Jahr der BBC.

In den Monaten nach dem Absturz über Lockerbie wurden Trümmer der PanAM-Maschine in einem Umkreis von 845 Quadratmeilen (2200 Quadratkilometer) gefunden - einer Fläche fast so groß wie das Saarland. Die Ermittlungsarbeiten galten damals als extrem kompliziert - auch wenn die Spezialisten nicht wie jetzt in der Ostukraine mit Bewaffneten im Rücken und Gefechtslärm in der Umgebung arbeiten mussten.

„FBI-Agenten und internationale Ermittler durchkämmten auf Knien die Landschaft, auf der Suche nach Spuren auf sprichwörtlich jedem Grashalm“, heißt es in einer FBI-Dokumentation. Mehr als 10 000 Menschen waren an der Suche beteiligt. Am ihrem Ende standen Millionen Kleinigkeiten, jedes für sich ein eigenes Beweismittel.

Die Ermittler fanden alleine vier Millionen Flugzeugteile, die sie wie in einem gigantischen Puzzle zusammenfügen mussten, aber auch Turnschuhe von Teenagern unter den Passagieren, Sweatshirts - und eine kleine Platine, nicht größer als ein Fingernagel. Das war die entscheidende Spur. Die Platine gehörte zu einem Radiorekorder, wie sie Ende der 1980er Jahre beliebt waren. Aus dem war der Zeitzünder für die Bombe gebaut.

Mit mehreren Testexplosionen fanden die Experten zudem heraus, welcher Koffer am nächsten am Explosionsort gewesen sein musste. Die ihm zugeordneten Kleidungsteile führten die Ermittler zu einem Laden auf Malta und dessen Inhaber schließlich zu dem Libyer Abdelbaset al-Megrahi. Es dauerte bis zum Jahr 2000, bis er ausgeliefert und 2001 verurteilt werden konnte.

An der Schuld des einzigen Verurteilten bleiben aber auch nach seinem Krebstod Zweifel. Die Ermittlungen, Untersuchungen und Schlussfolgerungen werden von Experten bis heute angezweifelt. So schreibt der damals von den Vereinten Nationen eingesetzte Beobachter, der österreichische Professor Hans Köchler, die Theorie mit dem Kassettenrekorder sei abenteuerlich. Köchler sprach von „dramatischen Fehlern und Unzulänglichkeiten“. Ein schottischer Polizist habe mit seiner Unterschrift bezeugt, dass die Platine von CIA-Leuten bewusst abgelegt wurde.

Köchler ist überzeugt, dass der Fall „hochgradig politisiert“ wurde. Dass es in der Ukraine leichter wird, der Wahrheit auf den Grund zu kommen, glauben internationale Experten nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: