Kolumbien:Relativer Frieden

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Waffen weg: Kriegsmaterial der kolumbianischen Guerillagruppen ELN und Farc wird in einem Stahlwerk vernichtet. (Foto: Guillermo Legaria/AFP)

Kolumbiens Regierung verhandelt nun auch mit den ELN-Rebellen. Ein Schritt, der Hoffnung macht - aber nur der erste auf einem sehr langen Weg.

Von Benedikt Peters, München

Manche Rebellen profitierten schon von den Friedensverhandlungen, bevor sie überhaupt begonnen haben. Etwa die im Gefängnis am Stadtrand des nordkolumbianischen Medellín: Im "Carcel Bellavista", wie die Kolumbianer das Gefängnis nennen, sind Kämpfer des marxistischen "Ejército de Liberación Nacional" (ELN) inhaftiert, hinter dicken Mauern und dreifachem Stacheldraht. Viele Jahre waren sie in enge, dunkle Zellen gesperrt, erzählen die Kämpfer der "Nationalen Befreiungsarmee", im Frühjahr aber durften sie umziehen. Ihr neuer Trakt ist geräumig, in seiner Mitte liegt ein Patio, in den die Sonne scheint. Pflanzen wachsen in Blumentöpfen, die Rebellen trinken Kaffee. Den Grund für die Verbesserung, so erzählt man es sich im Gefängnis: Unter den ELN-Häftlingen sind diejenigen, die den Kontakt zwischen der Regierung und der Führungsriege der Guerilla hergestellt haben. Inoffiziell, natürlich. Dafür wollte der Staat sich erkenntlich zeigen.

Ob die Geschichte nun stimmt oder nicht: Kontakte zwischen Regierung und ELN-Führung hat es gegeben, und jetzt, nach Monaten des Wartens, führen sie offenbar zu Ergebnissen. Ende vergangener Woche kündigte Präsident Juan Manuel Santos an, dass seine Regierung offizielle Friedensverhandlungen mit der ELN aufnimmt. Am 7. Februar sollen sie in Ecuadors Hauptstadt Quito beginnen, dort, wo schon informelle Vorgespräche zwischen Juan Camilo Restrepo, dem Chefunterhändler der Regierung, und der ELN-Führung um Kommandant Pablo Beltrán stattfanden. Zur Ankündigung der Verhandlungen schüttelten sich beide dort vor laufenden Kameras medienwirksam die Hände.

Für Präsident Santos ist die Aufnahme offizieller Gespräche einerseits ein großer Erfolg. Die ELN ist mit etwa 2000 Kämpfern die zweitgrößte Guerilla des Landes - man könnte auch sagen: die größte, seit im November ein Friedensvertrag mit den Farc-Rebellen unterschrieben wurde. Seither geben deren etwa 7000 Mitglieder in UN-überwachten Sonderzonen überall im Land ihre Waffen ab. Durch Gespräche mit der ELN will Santos nun verwirklichen, was er "den kompletten Frieden" nennt. Während er international für den Verhandlungserfolg mit den Farc gefeiert wurde und sogar den Friedensnobelpreis erhielt, hat er stets betont, dass der Frieden in Kolumbien unvollständig bleibt, wenn nicht auch die ELN die Waffen niederlegt.

Bis zu einem "kompletten Frieden" in Kolumbien ist es aber noch ein weiter Weg. Schon die Verhandlungen mit den Farc auf Kuba dauerten vier Jahre. Regierungsvertreter erwarten, dass die Gespräche mit der ELN noch komplizierter werden könnten: Während die Farc hierarchisch aufgebaut sind, läuft die Entscheidungsfindung innerhalb der ELN nach basisdemokratischen Prinzipien ab. Mitglieder der ELN-Führungsriege haben mehrfach kritisiert, dass bei dem Abkommen zwischen Regierung und Farc die Basis nicht einbezogen worden sei, weder die der Guerilla noch die in der Bevölkerung. In ihrem Fall soll das anders werden, was die Gespräche in die Länge ziehen könnte.

Vor Santos haben bereits mehrere kolumbianische Regierungen versucht, mit der ELN zu verhandeln, sind jedoch immer gescheitert. Präsident Santos musste den Start der offiziellen Gespräche mehrfach verschieben. Der letzte anvisierte Termin im Oktober platzte, weil die Guerilla einer zentralen Forderung der Regierung nicht nachkam: Der Freilassung ihrer letzten prominenten Geisel, dem ehemaligen Parlamentsabgeordneten Odín Sánchez. Dieser war in Gefangenschaft geraten, indem er sich für seinen Bruder Patrocinio eingetauscht hatte. Den ehemaligen Gouverneur der Provinz Chocó hatten die Guerilleros vor dreieinhalb Jahren entführt, im Dschungel war er schwer erkrankt. Den Sánchez-Brüdern werden enge Kontakte zu paramilitärischen, rechten Banden nachgesagt. Nun soll Odín bis zum 2. Februar freigelassen werden, allerdings nur gegen die Zahlung von Lösegeld.

Tausenden Paramilitärs sollte der Prozess gemacht werden - in zehn Jahren ergingen 46 Urteile

Ob eine Unterschrift der ELN unter ein Friedensabkommen zu einem "kompletten Frieden" in Kolumbien führen wird, ist zudem fraglich. Das zeigt sich in diesen Monaten, in denen die Farc ihre Waffen niederlegen. Die Stimmung in der Bevölkerung ist gespalten, im Oktober stimmte eine knappe Mehrheit gegen den Friedensvertrag mit den Farc. Die Regierung verhandelte daraufhin nach und boxte den neuen Entwurf durch das Parlament, ohne die Bevölkerung noch einmal zu fragen.

Es wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis auch nur manche der Wunden des 52 Jahre währenden Bürgerkriegs verheilt sind: 220 000 Menschen wurden getötet, 25 000 verschwanden, sieben Millionen wurden aus ihrer Heimat vertrieben, die meisten von ihnen Bauern. Viele von ihnen hausen nun in Armenvierteln an den Rändern der Großstädte. Schon seit 2012 läuft ein staatliches Programm, das den Vertriebenen eine Rückkehr auf ihr Land ermöglichen soll. Doch darauf warten die allermeisten bis heute.

Kompliziert wird auch die Arbeit der Übergangsjustiz, die über die Farc-Rebellen (und später wahrscheinlich auch über die ELN-Kämpfer) Recht sprechen soll. Das zeigen die Erfahrungen mit den rechten, paramilitärischen Banden, die bereits 2005 ihre Waffen niedergelegt haben. Mehreren Tausend sollte der Prozess gemacht werden, bis Ende 2015 ergingen gerade einmal 46 Urteile. Einige Paramilitärs durchliefen Reintegrationsprogramme, machten Ausbildungen und fanden Jobs. Andere aber schlossen sich kriminellen Banden an, nach Angaben der Regierung sind sie in 27 der 32 kolumbianischen Provinzen aktiv. Frieden ist in Kolumbien ein relativer Begriff - und wird das wohl auch in den nächsten Jahren sein.

© SZ vom 24.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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