Kolumbien:Das Gefühl von Frieden

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Auf einer Demonstration für die sofortige Umsetzung eines Friedensabkommens mit den Farc trägt eine Frau in Bogotá eine weiße Fahne. (Foto: Luis Acosta/AFP)

Die Farc-Rebellen haben seinen Großvater getötet. Warum Alejandro Vásquez ihnen dennoch vergeben will. Und warum in Kolumbien viele andere zu einer Versöhnung noch nicht bereit sind.

Von Benedikt Peters, Cartagena

Cartagena de Indias in Kolumbien ist eines der beliebtesten Fremdenverkehrsziele Südamerikas, ein Ort, durch dessen koloniale Altstadt die Touristen flanieren. Was viele nicht mitbekommen: Die Hafenstadt ist auch eine der größten Flüchtlingsstädte der Welt. In ihren Außenbezirken leben Menschen aus ganz Kolumbien, die hier Schutz vor dem Bürgerkrieg gesucht haben, der seit Jahrzehnten tobt - und der nun bald beendet sein könnte, wenn das Friedensabkommen zwischen der Regierung und den Rebellen der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) wirklich in Kraft tritt.

In einem dieser Armenviertel mit dem Namen "Nelson Mandela" lebt Alejandro Vásquez, ein schlaksiger Mann von 29 Jahren. Er studiert Kunst, trägt Ohrstecker und eine schwarze Kappe. Das lässt ihn jünger aussehen, als er ist. Er sagt, dass er den 12. November dieses Jahres nie vergessen wird.

An diesem Tag hat Vásquez gegen 20 Uhr den Fernseher eingeschaltet. Durch ganz Kolumbien schwirrte da schon die Nachricht, dass Präsident Juan Manuel Santos etwas wirklich Wichtiges zu sagen habe. Vásquez sah zu, wie der Präsident feierlich das neu verhandelte Friedensabkommen mit den Farc verkündete. Es war für Alejandro Vásquez ein Tag der Freude - und gleichzeitig ein Tag, an dem all der Schmerz wieder hochkam. "Es war nicht einfach für mich", sagt Vásquez. "Aber ich habe mich entschieden, für das Friedensabkommen zu sein."

Die Kämpfer bedrohten die Bewohner seiner Heimatstadt. Er musste fliehen

Vásquez war noch ein Teenager, als ihm bewusst wurde, dass er in seiner Heimat nicht bleiben konnte. Er stammt aus San Jacinto de Bolívar, einem 20 000 Einwohner Städtchen im Norden Kolumbiens. San Jacinto stand lange Zeit unter der Kontrolle der Farc. Sie bedrohten die Bewohner und zwangen sie, Schutzgeld zu bezahlen. "Hin und wieder haben sie jemanden ermordet, mal einen Politiker, mal einen Geschäftsmann", sagt Vásquez. Zunächst gelang es ihm, mit der Gewalt zu leben.

Doch dann kamen die Farc in seine Schule. Sie hielten ihm eine Pistole an den Kopf. Dann fiel der Blick eines der Rebellen auf einen Mitschüler. Sie rissen ihm das T-Shirt vom Leib und entführten ihn. "Es hätte genauso gut mich treffen können", sagt Vásquez. Er entschied sich zu fliehen und strandete in einem Armenviertel am Rande Cartagenas.

Es gab damals kein Wasser, keine asphaltierten Straßen, keine Elektrizität. Die Polizei hatte das Viertel aufgegeben, stattdessen herrschten dort rechtsgerichtete paramilitärische Verbände. Auch sie mordeten, entführten, erpressten Schutzgeld. Doch Vásquez blieb, er wusste nicht mehr, wohin er noch fliehen sollte. Nach drei Jahren in dem Armenviertel erhielt er die nächste schlimme Nachricht. Sein Großvater, der in San Jacinto geblieben war, war ermordet worden. "Jemand hat ihm in die Brust geschossen. Wahrscheinlich ein Guerillero, aber genau wissen wir es nicht."

Die Gegner warnen: Ein Friedensabkommen könne das Land ins Chaos stürzen

Man könnte verstehen, wenn Alejandro Vásquez nach all dem Leid gegen ein Friedensabkommen mit den Rebellen wäre - so wie eine knappe Mehrheit der Kolumbianer, die die erste Version des Vertrags vor knapp zwei Monaten in einer Volksabstimmung ablehnten. Warum ist Vásquez trotz allem dafür? "Die Gewalt muss aufhören", sagt er. "Auch wenn manche das ungerecht finden, irgendwann muss man nachgeben. Sonst gibt es nur noch mehr Opfer."

Wer in diesen Tagen durch Kolumbien reist, gewinnt den Eindruck, dass sich diese Meinung bisher nicht durchgesetzt hat. Auf der Plaza Bolívar, dem zentralen Platz der Hauptstadt Bogotá, haben Befürworter des Friedensabkommens ein Camp aufgeschlagen. Sie feierten dort kürzlich ausgelassen das neue Abkommen. Doch nur ein paar Schritte weiter zelten die Gegner des Friedens. In Hintergrundgesprächen mit Politikern hört man häufig kritische Stimmen. Sie äußern immer wieder die gleichen Argumente: Die Strafen, die der Friedensvertrag für die Rebellen vorsieht, seien viel zu weich. Und es sei ein Skandal, dass die Farc eine politische Vertretung in Form von Sitzen im Parlament bekommen sollen.

Der Mann, der dem "Nein" ein Gesicht gibt, hat kürzlich ausländische Journalisten zum Interview empfangen. Álvaro Uribe, der ehemalige Präsident und Chef des rechtsgerichteten Centro Democrático, kritisiert die geplante Übergangsjustiz. Den marxistisch-leninistischen Farc-Rebellen spricht er ab, eine politische Bewegung zu sein. "Sie sind das erste Drogenkartell der Welt." Und dann spricht er eine Warnung aus: Wenn das Abkommen Wirklichkeit werde, dann könnte sich Kolumbien in ein "zweites Venezuela" verwandeln. Das linksregierte Nachbarland steckt in einem politischen und wirtschaftlichen Chaos, für viele Kolumbianer ein Schreckensszenario. Vor diesem Hintergrund wird mit Spannung erwartet, ob die kolumbianische Regierung auch über das neu ausgehandelte Friedensabkommen ein Referendum abhalten wird.

In Cartagena möchte Alejandro Vásquez am Ende des Gesprächs noch etwas loswerden. Er sagt, er sei für den Frieden, weil er in den vergangenen Jahren eine Ahnung davon bekommen konnte, wie er sich anfühlt. In dem Viertel, in dem er lebt, sind einige Straßen, die früher Schlammpisten waren, inzwischen geteert worden. Es gibt Strom- und Wasserleitungen, medizinische Versorgung. Das liegt daran, dass das Viertel Hilfsgeld erhält. Es kommt unter anderem aus den USA, nach dem Wahlsieg Donald Trumps bleibt abzuwarten, wie es damit weitergeht.

Zweitens liegt es aber auch daran, dass die rechtsgerichteten Paramilitärs in dem Viertel nicht mehr ihr Unwesen treiben - als Folge des Friedensprozesses, den Álvaro Uribe vor Jahren in seiner Präsidentschaft mit rechten Gruppen eingeleitet hat. Die Mordrate ist vielen Bewohnern zufolge seitdem stark zurückgegangen. Für Vásquez das beste Argument, nun auch endlich Frieden mit den linken Farc zu schließen.

© SZ vom 22.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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