Klimaschutz:Treiber und Getriebene

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Plötzlich geht alles sehr schnell: Weil China sein Wirtschaftsmodell umstellt und die USA einen Markt entdecken, wird das Klimaabkommen vorangetrieben. Öko ist schick - weil sich damit Geld verdienen lässt. Und die Deutschen? Haben den Trend gesetzt und verschlafen ihn nun.

Von Michael Bauchmüller

Sieben Jahre zogen ins Land, nichts geschah. Sieben Jahre verstrichen, bis das Kyoto-Protokoll in Kraft treten konnte - der erste globale Klimavertrag. Jener Vertrag, den die USA nie ratifizierten, und bei dem Peking alle Last den Industriestaaten aufbürdete. Damals sah sich China noch als Entwicklungsland, das erst mal tüchtig Kohle und Öl verpulvern musste, um mit anderen Staaten aufzuschließen. Knapp zwölf Jahre ist es her, dass das Kyoto-Protokoll formal in Kraft trat, sieben Jahre nach seiner Verabschiedung. Geholfen hatte es wenig.

Wie anders läuft das jetzt mit dem Klimavertrag von Paris: Am Wochenende haben sowohl China als auch die USA zeitgleich das Abkommen ratifiziert, öffentlichkeitswirksam vor Beginn des G-20-Gipfels. Wenn die beiden größten Klimasünder der Welt dem Abkommen auch formal beitreten, steht seinem baldigen Inkrafttreten nicht mehr viel im Weg. 55 Staaten müssen ratifizieren, gemeinsam müssen sie 55 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen repräsentieren. Wie es aussieht, könnte diese Hürde noch im Oktober genommen sein - gut zehn Monate nach dem Klimagipfel in Paris. Und das alles nur, weil Washington und Peking nicht mehr bremsen, sondern antreiben.

Umwelt als Gewinnmodell: China und die USA sind plötzlich vorne

Paradoxerweise steht hinter dem Kurswechsel das gleiche Kalkül wie einst bei Kyoto. Seinerzeit galt Klimaschutz für beide Länder als gravierender Wettbewerbsnachteil. Die USA fürchteten, gegenüber China vollends ins Hintertreffen zu geraten, wenn sie den Verbrauch von Kohle, Öl und Gas drosseln müssten. China brauchte Energie für seinen Wirtschaftsboom, vorzugsweise Energie aus dreckigen Kohlekraftwerken.

Inzwischen hat sich die Lage ins Gegenteil verkehrt. Nirgends wurde in den letzten Jahren so viel in erneuerbare Energien investiert wie in China und den USA. Allein in China hängen mittlerweile rund drei Millionen Jobs an Ökoenergien, in den USA sind es mehr als 700 000. Obendrein ist die Kohle in beiden Ländern auf dem Rückzug: In den USA, weil vermehrt billiges Fracking-Gas zum Einsatz kommt, in China der miserablen Luft wegen. In beiden Länder arbeiten Firmen mit Hochdruck am Durchbruch für Stromautos. Und: Beide Länder müssen fürchten, dass sie zu Hauptschauplätzen der Klimakatastrophe werden, wenn nichts passiert.

Zum großen Geschäft aber wird Klimaschutz erst, wenn viele Länder mitmachen - oder mitmachen müssen, weil ein Klimavertrag den grünen Wandel erzwingt. Der Sinneswandel ist kühl kalkuliert.

Derlei Eigennutz spricht nicht gegen die neue Rolle Pekings und Washingtons. Der Kurswechsel beweist, dass beide Staaten im Klimaschutz mehr Chancen als Risiken sehen. So funktionieren sich selbst erfüllende Prophezeiungen: Die rasche Ratifizierung wird dafür sorgen, dass Investoren Kapital umschichten - weg von fossilen, hin zu grünen Energien und sauberen Antrieben. Unternehmen werden sich darauf einstellen, dass das Klimaabkommen von Paris tatsächlich wirksam werden könnte mit seinen Pflichtkontrollen der Treibhausgasemissionen und nationalen Auflagen für Kraftwerke, Heizungen, Autos, die Jahr um Jahr schärfer werden. Die USA und China haben sich entschieden, zu Treibern des Wandels zu werden, ehe die Märkte sie zu Getriebenen machen.

Damit sieht so mancher plötzlich alt aus, der sich noch vor Kurzem selbst für einen Antreiber hielt. Während Obama und Xi stolz dem Abkommen beitreten, hadert die Koalition in Berlin mit ihren eigenen Klimazielen. Ein eigener Plan soll entstehen, eine Art Wegweiser in die klimafreundlichere Zukunft. Doch konservative Wirtschaftspolitiker brandmarken ihn als "Horrorkatalog". Sie haben Angst vor jener Zukunft, die andere gerade schreiben.

© SZ vom 05.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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