Klimaschutz:Die Kühnen von Paris

Lesezeit: 2 min

Rigoros geht die Stadtverwaltung gegen Diesel und Benziner vor. An diesen Schritt wird man sich eines Tages womöglich erinnern - als den Moment, an dem mutige Männer und Frauen begannen, die Menschen zu ihrer Rettung zu zwingen.

Von Joachim Käppner

Bernardo Bertolucci lässt in seinem Film "Die Träumer" von 2003 drei junge Menschen das aufgewühlte Paris des Jahres 1968 erleben; sie träumen von einer Gesellschaft, in der alles anders, besser und schöner ist, von der Liebe bis zur Politik. Fast 50 Jahre später residiert in Frankreichs Hauptstadt Präsident Emmanuel Macron, der linken Träumen und rechten Albträumen mit eisenhartem Pragmatismus und Sanierungswillen begegnet. Und doch könnte die Metropole bald wieder ein Ort sein, an dem Träume Wirklichkeit werden sollen.

Nur geht es jetzt nicht um schwärmerische Utopien, sondern um eine sehr bedrohliche Realität: den Klimawandel. Die Pariser Verwaltung will Dieselfahrzeuge im Jahr 2024 und Benziner 2030 aus der Stadt verbannen - zum Schutz der Bewohner vor Luftverschmutzung und Feinstaub, und aus größerer Perspektive betrachtet: für den Schutz des Klimas. Es ist bisher das kühnste Vorhaben dieser Art, wie sie auch London und sogar China schon ins Auge gefasst haben. Es ist eine Entscheidung, die in ihrer radikalen Konsequenz viele Millionen Menschen direkt betreffen würde. Und die in derselben Konsequenz zeigen könnte, was gegen alle ökonomische Scheinrationalität möglich ist, wie ein Leuchtfeuer in dunklen Tagen klimapolitischer Ignoranz.

Unter Donald Trump steigen die USA aus dem erst 2015 geschlossenen Klimaschutzabkommen von Paris aus; wer weiß, wer ihm noch folgen wird. Deutschland unter der "Klimakanzlerin" Angela Merkel hat sich 2015 große Verdienste bei der Durchsetzung dieses Abkommens erworben, das die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius begrenzen soll, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels abzuwenden. Seitdem freilich ruht sich die Bundesregierung auf welkenden Lorbeeren aus. Ihre eigenen Klimaziele wird sie wohl verfehlen, in Teilen der Union und erst recht beim potenziellen Koalitionspartner FDP gilt staatlich erzwungener Klimaschutz als eine Art Öko-Sozialismus. Als die Grünen nur den Gedanken anzuregen wagten, herkömmliche Motoren bis 2030 zu verbannen, wurden sie als Spinner und Volkserzieher geschmäht. Dabei spricht die Wissenschaft eine klare Sprache: Die Menschheit hat keine Jahrzehnte mehr zu verschwenden. Und zumindest was den Beitrag des herkömmlichen Autos zu diesem Desaster angeht, gäbe es mit den E-Fahrzeugen und öffentlichen Transportmitteln realistische Alternativen zu einer, fast buchstäblichen, Politik, die "Nach mir die Sintflut" ruft.

Die Stadtverwaltung geht rigoros gegen Diesel und Benziner vor - ein epochaler Schritt

In seinem großen Buch "Schnelles Denken, langsames Denken" warnt der Psychologe David Kahnemann: Eine Kultur, die kurzfristigen Gewinn nicht von langfristigem Nutzen unterscheiden kann, verliert die Fähigkeit, selbst existenzbedrohende Gefahren ernst genug zu nehmen. So betrachtet will schnelles Denken Arbeitsplätze retten, Wachstumsziffern erreichen, globale Wettbewerbsvorteile gewinnen. Nichts davon ist illegitim. Es ist nur zu kurz gedacht. Der Klimawandel ist eine unmittelbare, schnell wachsende Gefahr, was immer seine Leugner sich und anderen auch einreden wollen. Paris gibt vor, was hoffentlich einmal Normalität sein wird - wenn man sich an jene seltsame Epoche erinnert, in der die Menschen zu ihrem Glück, ja zu ihrer eigenen Rettung gezwungen werden mussten.

© SZ vom 14.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: