Klimaschutz:Der Vertrag

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Endlich mal ein Thema, bei dem es tatsächlich vereinte Nationen gibt. Und warum? Weil sich mit Sonne und Wind großartige Geschäfte machen lassen.

Von Michael Bauchmüller

Mahatma Gandhi ist Indiens Nationalheld, sein Geburtstag am 2. Oktober ein Feiertag. Was ein indischer Premier an diesem Tag macht, das wird allein dadurch groß und besonders. Diesmal hat Amtsinhaber Narendra Modi den Tag genutzt, um den Klimavertrag von Paris zu ratifizieren. Zuvor hatten die USA und China diesen Akt gemeinsam in Peking zelebriert, das EU-Parlament lud dieser Tage eigens zur Feierstunde. Schließlich tritt hier nicht irgendein Vertrag in Kraft, sondern ein Weltvertrag. Oder, mit mehr Pathos: ein Vertrag zur Rettung des Planeten.

Einen Vertrag schließen, das ist aber nur das eine.

Verträge enthalten Pflichten, so auch dieser. Für die Industriestaaten heißen sie: Abschied nehmen von Kohle, Öl und Gas, von Verschwendung und Raubbau. Damit beginnt der eigentliche Machtkampf zwischen Alt-Industrien und ihren klimafreundlichen Alternativen; die Beharrungskräfte sind gigantisch. Selbst in einem Land wie Deutschland, das so gerne führend wäre im Klimaschutz, geht dieser Kampf bis ans Äußerste. Wer sieht, wie hierzulande ein langfristiger Klimaschutzplan von Industrielobbys kleingehäckselt wird, der kann verzweifeln. Denn zu Ende gedacht heißt der Vertrag: Kein Kraftwerk darf mehr auf Kohle laufen, kein Auto mehr mit Öl fahren, kein Haus mehr mit Erdgas heizen. Landwirte müssen weniger düngen, der Fleischkonsum muss sinken. Stahl- und Chemieindustrie müssen sich überlegen, was sie mit den Treibhausgasen anfangen, ohne die sie bisher nicht produzieren können.

Einen Vertrag erfüllen, das ist eben das andere.

Doch Verträge schaffen auch Sicherheit und Vertrauen. Wenn, mit Ausnahme Russlands, die größten Klimaschurken der Welt nun feierlich Abkehr schwören, dann ist das auch ein Signal an Märkte und Investoren: Sie meinen es ernst. Alleine das wird Fakten schaffen. Denn Geld regiert eben doch die Welt.

Und Verträge binden. Zwar lässt sich eine Verletzung des Pariser Klimavertrags vor keinem Gericht der Welt verhandeln. Aber gerade weil der Vertrag mittlerweile symbolisch so aufgeladen ist, lässt er sich nicht mehr so leicht mit Füßen treten. Selbst der Erderwärmungsleugner Donald Trump, den vermutlich tausend Wirbelstürme vom Typ Matthew nicht zur Besinnung brächten, würde nicht mehr ohne Weiteres aussteigen können. Es zählt zu den Paradoxien seiner Kandidatur, dass nur wegen ihr so schnell so viele ratifiziert haben - damit ein US-Präsident Trump nicht nachträglich davon zurücktreten kann. Allein das ist ein Signal in einer Staatengemeinschaft, die ihre größten Probleme kaum mehr kollektiv zu lösen vermag; wo die Nationen vereint zusehen müssen, wie Aleppo in Schutt fällt, weil zwei ferne Großmächte keinen Frieden finden. Beim Klimaschutz dagegen sind die Nationen ausnahmsweise tatsächlich vereint.

Dahinter mag die Einsicht stehen, dass sich ein Problem globalen Ausmaßes nur gemeinschaftlich lösen lässt. Aber der Vertrag, auch das gehört zur Wahrheit, wäre nie zustande gekommen, gäbe es keine technischen Alternativen zum Status quo. Indien hat ein Milliardenprogramm gestartet, um seine Landbevölkerung mit Sonnenstrom zu versorgen. China ist zum Weltmeister der Windenergie geworden. In den USA suchen Milliardäre ihr Glück, indem sie Autos produzieren, die elektrisch fahren.

Endlich einmal ein Thema, bei dem es tatsächlich vereinte Nationen gibt. Und warum? Weil sich mit Sonne und Wind großartige Geschäfte machen lassen

Die Moleküle sind in Bewegung gekommen, weltweit, gerade weil Klimaschutz gute Geschäfte verspricht. In sonnigen Gegenden erzeugen Solarkraftwerke mittlerweile den Strom günstiger als jedes andere Kraftwerk, die Preise für Batteriespeicher sind im freien Fall. In Deutschland blättern Aktionäre diesen Freitag Milliarden für eine Tochterfirma des Braunkohlekonzerns RWE hin - weil die nicht mit fossiler Energie ihr Geld macht, sondern mit grüner. Und Brasiliens Entwicklungsbank hat diese Woche angekündigt, kein Geld mehr in neue Kohlekraftwerke zu stecken. Stattdessen gibt es mehr Geld für Solaranlagen. Reihenweise stiegen Investoren zuletzt aus Kohleprojekten aus.

Längst haben die Finanzmärkte den Klimawandel als systemisches Risiko ausgemacht. Weil er entweder, in Form weiterer Matthews oder Fluten, Jahr für Jahr größere Werte vernichtet. Oder indem ein zu später und folglich überstürzter Kurswechsel der Staaten zu einem Börsencrash führen würde, wie ihn die Welt noch nicht erlebt hat.

Der Weltvertrag von Paris kann das Fundament werden, dies zu verhindern; er bietet aber noch keine Gewähr dafür. Billionen werden in den nächsten Jahren in neue Städte und Straßen fließen, in Häuser und Energieversorgung. Wie diese neue Infrastruktur aussieht, wird für Jahrzehnte die Entwicklung vorzeichnen. Werden Megastädte wie Kairo, Lima oder Mumbai weiter in die Breite wachsen statt in die Höhe? Werden folglich noch mehr Straßen nötig, auf denen noch mehr Verbrennungsmotoren unterwegs sein werden? Kurz: Wie gelingt grünes Wachstum nicht nur in der industrialisierten Welt, sondern auch in Schwellenländern?

Wollen die Nationen wirklich vereint im Kampf gegen die Erderwärmung sein, dann müssen sie bald entscheidende Weichen stellen. Dann müssen sie beschließen, alle Subventionen für fossile Energie abzuschaffen. Als der Internationale Währungsfonds die Beihilfen für 2015 addierte, kam er auf sagenhafte 4,8 Billionen Euro. Entgegen früherer Gepflogenheit hatte der Fonds auch indirekte Subventionen eingerechnet - etwa die Kosten, die Smog und Atemwegserkrankungen den Gesundheitssystemen aufbürden. Wollen die Nationen vereint sein, dann müssen sie auch neue Anreize setzen, schrittweise von fossilen auf saubere Energieformen überzugehen - etwa mit Steuern auf Kohlendioxid. Der Vertrag von Paris gibt ihnen dafür nicht nur die Legitimation, er verpflichtet sie dazu - weil jetzt noch die Zeit bleibt, einen stetigen, klimafreundlichen Pfad einzuschlagen.

Mahatma Gandhi hatte ein Ziel, und er war zäh. Er kämpfte 30 Jahre lang, bis er Indiens Unabhängigkeit endlich erreicht hatte, nichts konnte ihn beirren. Er ist ein guter Pate für diesen Vertrag.

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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