Kirgistan:Opposition ruft Volksregierung aus

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Nach Kämpfen mit vielen Toten flieht Präsident Bakijew. Russland und die USA beobachten den Umsturz genau - für beide ist Kirgistan strategisch wichtig.

Sonja Zekri

Am späten Mittwochabend hat die Opposition in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek erklärt, sie habe eine eigene Volksregierung eingesetzt. Das Flugzeug von Präsident Kurmanbek Bakijew habe Kirgistan verlassen, sagte die Flughafenverwaltung. Fünf Jahre nach der Tulpenrevolution ist Bakijew offenbar auf dieselbe Weise aus dem Amt gejagt worden, auf die er damals an die Macht gekommen ist.

"Die Oppositionsführer befinden sich im Regierungspalast", sagte Temir Sarijew, einer der Anführer der Proteste. Ex-Außenministerin Rosa Otunbajewa solle die neue Regierung führen. Bei Gefechten zwischen Demonstranten und Polizei waren zuvor Dutzende Menschen umgekommen. Das Gesundheitsministerium bestätigte am Donnerstagmorgen 65 Tote, die Opposition sprach von bis zu 100. Berichte, nach denen Demonstranten Innenminister Moldomusa Kongatijew getötet hätten, dementierte die Regierung.

Wie beim letzten Mal begann der Protest in der Provinz, in Talas im Südwesten, wo die Demonstranten am Dienstag den Sitz des Gouverneurs stürmten und den Amtsinhaber festsetzten. Wie damals griffen die Proteste auf die Hauptstadt über, wo sich am Mittwoch Tausende Menschen vor dem Regierungssitz versammelten. Dabei fuhren Demonstranten in erbeuteten Polizeiautos und trugen Gewehre und Panzerabwehrwaffen, die sie der Polizei abgenommen hatten.

2005 war der Präsident Askar Akajew nach Moskau geflohen, wo er seinen Rücktritt erklärte. Über den Verbleib von Bakijew gab es nun unterschiedliche Angaben. Es hieß, er sei in der Stadt Osch im Süden des Landes oder in der Nachbarrepublik Kasachstan.

Plünderungen in der Hauptstadt

Einen ersten Sturm des Regierungsgebäudes wehrte die Polizei mit Tränengas und Blendgranaten ab. Das Internet war blockiert, das Fernsehen verlor zunächst kein Wort über die Ereignisse, wurde dann offenbar abgeschaltet und am Abend von der Opposition übernommen. Die Geschäfte in der Hauptstadt blieben geschlossen, trotzdem gab es Plünderungen. Die Regierung hatte den Notstand ausgerufen, dennoch hatten die Aufrührer den Sitz der Staatsanwaltschaft in Brand gesteckt. "Es ist wie vor fünf Jahren, nur härter", sagte der Politologe Valentin Bogatyrjow der SZ.

In Moskau und Washington dürfte man die Ereignisse aufmerksam verfolgen. In Kirgistan unterhält nicht nur Russland einen Militärstützpunkt, sondern auch Amerika, das über den Flughafen in Manas Truppen nach Afghanistan bringt. Die russische Presse hatte Bakijew zuletzt scharf attackiert, ihn sogar mit Dschingis Khan verglichen, weil er seinen Sohn als Nachfolger in Stellung gebracht habe.

In Wahrheit dürfte dies die Reaktion auf Bakijews vermeintliche Illoyalität gegenüber Moskau sein. Obwohl Russland einen Milliardenkredit in Aussicht gestellt hatte - als Belohnung für den Rauswurf des US-Militärs - hatte Bakijew den USA erlaubt, ihren Stützpunkt gegen höhere Pachtgebühren im Land zu lassen.

Ein kritisches Maß an Unzufriedenheit

Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin wies den Vorwurf zurück, Russland habe die Unruhen orchestriert. Weder Russland noch russische Offizielle stünden mit den Unruhen in Verbindung, zitieren ihn Agenturen. Bakijew habe dieselben Fehler gemacht wie sein Vorgänger, so Putin.

Es gärt seit langem in der armen Republik, deren Wirtschaft vor allem von Transfer-Zahlungen kirgisischer Gastarbeiter in Russland und Kasachstan abhängt. Und mehrmals schon hatte die Opposition versucht, Bakijew aus dem Amt zu treiben. Der einstige Sieger der Tulpenrevolution, so die Kritik, sei so korrupt und autoritär wie sein Vorgänger.

Diesmal aber hat die Unzufriedenheit wohl ein kritisches Maß erreicht. Den "Kurultai", eine nationale Versammlung, mit der Bakijew Ende März Einheit und Stabilität demonstrieren wollte, boykottierte die Opposition. "Außerdem wurden vor kurzem die Preise für Strom und Gas drastisch erhöht, sagte der Politologe Bogatyrjow. Erste Proteste gab es beim Besuch von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon vor wenigen Tagen.

Nach Ausbruch der Proteste waren vorübergehend fast alle Oppositionsführer festgenommen worden. Sie warnten, die Proteste könnten außer Kontrolle geraten, weil sie nicht gelenkt würden. Einige wurden später wieder freigelassen. "Nichts an diesen Protesten ist spontan", sagte Bogatyrjow.

© SZ vom 08.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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