Kirgistan:Angst vor Bürgerkrieg

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"Ich bin ein gewählter Staatschef und erkenne überhaupt keine Niederlage an": Die neue Regierung in Kirgistan fürchtet, dass der gestürzte Staatschef Bakijew seine Anhänger mobilisiert.

Sonja Zekri

Am Tag nach dem Umsturz ist eine der spannendsten Fragen in Kirgistan: Wo ist der Präsident? Am Mittwochabend ist Kurmanbek Bakijew aus Bischkek abgeflogen. Aber Informationen, dass er ins kasachische Astana geflohen ist oder in seine Heimatregion im Süden, ließen sich weder bestätigen noch verwerfen.

In Osch im Süden versammelten sich 2000 Menschen, ohne dass Bakijew auftauchte. Allerdings meldete er sich am Donnerstagnachmittag im russischen Radio zu Wort: Er werde trotz seiner Flucht aus Bischkek nicht von seinem Amt zurücktreten, erklärte Bakijew. "Ich bin ein gewählter Staatschef und erkenne überhaupt keine Niederlage an."

Rosa Otunbajewa, ehemalige Mitstreiterin Bakijews, Ex-Außenministerin und Leiterin der Übergangsregierung, hatte am Donnerstagmorgen in Bischkek gewarnt: Zwar kontrolliere die Opposition weite Teile des Landes, sagte sie, doch versuche Bakijew, seine Anhänger im Süden zu mobilisieren. Würde sich dies bewahrheiten, stünde Kirgistan Schlimmeres bevor als jene zwei Tage des Aufruhrs und der Gewalt. Dann läge Bürgerkrieg in der Luft.

Gefahr im Verzug

Gemessen an den nächtlichen Raubzügen, an den Geiselnahmen hoher Beamter, an mehr als 70 Toten und so vielen Verletzten, dass den Krankenhäusern das Spenderblut ausging, hat sich die Lage am Donnerstag deutlich entspannt. Zwar schleppten Plünderer aus der brennenden Residenz Bakijews Blumen, Bücher und Heizkörper, wie Agenturen berichteten. Aber es gab keine Schlachten mehr zwischen Polizei und Opposition, wenn auch vor allem deshalb, weil die Ordnungshüter sich offenbar zurückgezogen hatten und Zivil trugen.

Für ein halbes Jahr wolle die Opposition nun eine Übergangsregierung einsetzen, dann soll es Neuwahlen geben, so Otunbajewa. Inzwischen sollen das Wahlrecht und die Verfassung reformiert werden. Erste Ministerposten wurden bereits vergeben: Verteidigungsminister ist Ismail Isakow, der dieses Amt schon einmal innehatte, aber von Bakijew unter fingierten Korruptionsvorwürfen ins Gefängnis geworfen und - wie viele Oppositionsführer - gerade erst entlassen wurde. Omurbek Tekebajew von der Partei Vaterland soll eine Verfassungsreform ausarbeiten, Temir Sarijew von der Partei Ak Schmukar (Weißer Falke) wird Finanzminister, der Sozialdemokrat Almasbek Atambajew wird Minister für Wirtschaftliche Entwicklung.

Keine genauen Angaben

Doch obwohl einzelne Protagonisten der neuen Regierung international respektierte Politiker sind wie etwa die ehemalige Botschafterin in den USA, Otunbajewa, die für die UN auch im Abchasien-Konflikt tätig war, sind die Umrisse der künftigen Politik wolkig. Zwar sollen die Erhöhungen für Strom und Heizung rückgängig gemacht werden, die maßgeblich zum Ausbruch der Proteste beigetragen hatten. Auch sollen Banken verstaatlicht werden, die dem Bakijew-Clan nahe stehen. Aber ob die Opposition ganz Bischkek kontrolliert, wo noch immer ungelenkte Massen durch die Straßen ziehen, ist unklar.

Und die unabhängige Internet-Seite "fergana.ru" kritisierte, bislang seien die neuen Machthaber vor allem mit der Aufteilung der Portfolios zuständig. Einen Plan für die Zeit nach dem Sturz Bakijews habe niemand: "Offenbar haben sie selbst nicht daran geglaubt, dass es so schnell geht."

Moskau, das ebenso wie Washington in Kirgistan eine Militärbasis unterhält und unlängst erbost war, weil Bakijew den amerikanischen Truppentransportstützpunkt weiterhin im Land duldet, hatte den verjagten Präsidenten zuletzt offen kritisiert. Nun erkannte es als eines der ersten Länder die neuen Machtverhältnisse an. Noch von der Gedenkveranstaltung in Katyn telefonierte Premierminister Wladimir Putin mit Rosa Otunbajewa. Zur Sicherheit schickte Russland mehr Truppen nach Kirgistan. Amerika gab sich zurückhaltender. Otunbajewa versprach zwar, der Luftwaffenstützpunkt dürfe bleiben. Aber Bakijews Deal, der Washington bei höheren Pachtgebühren gegen den Willen Russlands die Fortführung der Militärbasis erlaubt hatte, war einer der Kritikpunkte der Opposition gewesen.

China zeigte sich "tief besorgt". UN-Generalsekretär Ban Ki Moon äußerte ebenfalls Besorgnis und schickte seinen Sondergesandten Jan Kubis nach Bischkek. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton lobte die Stabilisierung der Situation und rief zu einem "konstruktiven" Dialog auf.

Besorgnis überall

Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Wieso stürzt Kirgistan alle fünf Jahre seine Regierung? Und warum hat Präsident Bakijew die Zeichen der Zeit nicht erkannt, sondern durch die brutale Reaktion auf die Proteste die Gewalt noch angeheizt? Arkadi Dubnow, der Berichterstatter für die russische Zeitung Wremja Nowostej und einer der besten Kenner des Region, schreibt, die "Tragödie" Kirgistans liege darin, "dass eine ehrgeizige Familie mit einem schwachen Familienoberhaupt an die Macht gekommen" sei: "Kurmanbek Bakijew, so muss man offen sagen, war eine Geisel seiner Söhne und Brüder, deren Machtgier er nichts entgegenzusetzen hatte."

Nun sind Clan-Wirtschaft und Nepotismus in Zentralasien nichts ungewöhnliches, auch die Verfolgung der Opposition, die Knebelung der Presse und die Abhängigkeit von den Überweisungen kirgisischer Gastarbeiter in Russland finden sich in solchem oder ähnlichen Maße in den Nachbarrepubliken. Politisch aber brachte Bakijew offenbar das Fass zum überlaufen, als er seinen Sohn Maxim zum Chef einer Innovationsagentur machte, deren Kompetenzen in gewissen Bereichen sogar jene der Regierung überstieg. Zudem hatte Bakijew die Verfassung ändern lassen. Sollte der Präsident ausfallen, konnten ihn nicht mehr nur Parlamentssprecher oder der Premier ersetzen, sondern jeder andere, den der präsidiale Rat bestimmte - also auch Bakijew junior.

Und in einem Land, in dem die Hälfte der fünf Millionen Einwohner unterhalb der Armutsgrenze lebt, mobilisierten die jüngsten Strompreiserhöhungen jenen Volkszorn, den die Opposition nun zu kanalisieren versucht. Selbst wenn Kirgistan ein Bürgerkrieg erspart bleibt, stehen die Chancen auf einen Neuanfang nicht gut. Fast alle Oppositionsführer waren so oder so mit Bakijew oder seinem ebenfalls gestürzten Vorgänger Askar Akajew verbunden. Der Verdacht, dass es ihnen mehr um verlorenen Einfluss als um das Wohl des Landes geht, dürfte so leicht nicht auszuräumen sein. Seit der Unabhängigkeit verschleißt sich Kirgistans Elite im Zeitraffer. Nur blieben diesmal Leichen zurück.

© SZ vom 9.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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