Kirche und Missbrauch:Nun will der Vatikan durchgreifen

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"In unserer Kirche muss aufgeräumt werden" - Mit drastischen Worten geißelt der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper den Missbrauch in katholischen Einrichtungen.

Heftige Reaktion aus Rom: Der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper hält angesichts der zahlreichen Missbrauchsfälle in Kircheneinrichtungen eine "ernsthafte Reinigung" für dringend nötig. "Genug! In unserer Kirche muss aufgeräumt werden!", grollte Kasper im Gespräch mit La Repubblica.

Die Schuldigen müssten verurteilt, die Opfer entschädigt werden, sagte der im Vatikan für die Einheit der Christenheit verantwortlich Kardinal der römischen Tageszeitung.

Es sei gut, dass Papst Benedikt XVI. Klarheit schaffen wolle und "Null-Toleranz" denen gegenüber verlange, die sich mit so schwerer Schuld beschmutzten. Die jüngste Welle von Missbrauchsfällen in Deutschland könnte auch in den angekündigten Brief einfließen, den der Papst wegen der dortigen Skandale an die katholische Kirche in Irland vorbereite, deutete Kasper an.

Der Kurienkardinal erklärte, "große Traurigkeit, tiefe Enttäuschung, Schmerz und viel, viel Wut" wegen der sexuellen Missbrauchsfälle mit minderjährigen Opfern zu verspüren.

"Das sind kriminelle, schändliche Akte", geißelte der Kirchenmann die Fälle, "nicht hinnehmbare Todsünden".

"Es handelt sich um verabscheuungswürdige Verbrechen, die mit absoluter Entschlossenheit verfolgt werden müssen", so Kasper und weiter: "Dafür gibt es keine Rechtfertigung."

Dieses Übel habe sich in der Gesellschaft eingegraben, also auch in der Kirche, "die, wie wir wohl wissen, nicht immun gegen Sünden ist." Er sage dies nicht, um etwas zu rechtfertigen, erläuterte Kasper. Vielmehr gehe es darum, eine "Tragödie" zur Kenntnis zu nehmen, bei der alle angesprochen seien.

Der Kurienkardinal wies darauf hin, dass vergleichbare Vorgänge wie auch den Niederlanden und den USA belegt seien.

Kasper, dienstältester Kardinal an der Kurie, ist neben seiner Leitung des vatikanischen Ökumene-Rats auch Mitglied der Glaubenskongregation und des Obersten Gerichtshofs der Apostolischen Signatur.

Schüler als "sexuelle Dienstleister"

Inzwischen mehren sich die Enthüllungen über Missbrauch und Misshandlungen an kirchlichen Einrichtungen, zuletzt aber auch an einer hessischer Reformschule, die in privater Hand ist.

In der renommierte Odenwaldschule in Ober-Hambach, eine Einrichtung für Reformpädagogik, waren zwar bereits vor zehn Jahren Vorwürfe von zwei früheren Schülern gegen den damaligen Schulleiter bekannt geworden.

Jetzt jedoch räumt die Odenwaldschule ein, dass Berichte über 20 Opfer vorliegen und mindestens drei Lehrer beschuldigt werden. Frühere Schutzbefohlene berichteten der Frankfurter Rundschau, dass es 50 bis 100 Opfer gegeben habe.

Ehemalige Schüler sagten der Zeitung, dass sie als "sexuelle Dienstleister" für ganze Wochenenden eingeteilt und zu Oralverkehr gezwungen wurden. Einzelne Pädagogen hätten ihren Gästen Schüler zum sexuellen Missbrauch überlassen.

30 Opfer in Jesuiten-Gymnasium

Auch im Rheinland wurden neue Missbrauchsfälle bekannt. Am Bad Godesberger Jesuiten-Gymnasium Aloisiuskolleg haben sich nach Informationen der Kölnischen Rundschau 30 ehemalige Schüler sowie ein Schüler von heute gemeldet.

Diese haben in den vergangenen vier Wochen Vorwürfe im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch vorgebracht, wie die Tageszeitung unter Berufung auf eine Arbeitsgruppe des Kollegs berichtet. Der Sprecher des Jesuitenkollegs, Robert Wittbrodt, erklärte, teilweise handele es sich um "heftige Berichte" bis hin zu sexuellen Handlungen.

Gegen sechs Patres würden Vorwürfe erhoben, von denen fünf inzwischen verstorben seien. Die heftigsten Anschuldigungen beträfen strafrechtlich verjährte Vorfälle in den 50er und 60er Jahren. Allerdings ermittelt die Staatsanwaltschaft dem Bericht zufolge in einem Fall aus dem Jahr 2005 noch gegen den 82-Jährigen Pater, der angeblich demenzkrank ist.

Ausmaß bei Domspatzen größer als bekannt

Auch der Missbrauchskandal bei den Regensburger Domspatzen nimmt immer größere Ausmaße an. Der Spiegel berichtete, Therapeuten im Münchner Raum behandelten mehrere ehemalige Domspatzen, die durch sexuelle und andere körperliche Misshandlungen traumatisiert wurden.

Der Komponist Franz Wittenbrink, der bis 1967 im Internat der Domspatzen lebte, spricht im Nachrichtenmagazin von einem "ausgeklügelten System sadistischer Strafen verbunden mit sexueller Lust", das dort bestanden habe.

Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) forderte die Kirche zur konsequenten Zusammenarbeit mit der Justiz auf. "Es gibt Fälle, in denen es nicht so läuft, wie es laufen sollte", sagte die CSU-Politikerin der Süddeutschen Zeitung. Es sei für sie unabdingbar, dass die Kirche sofort die Staatsanwaltschaft einschalte, wenn sie Hinweise auf Missbrauch erhalte.

Ähnlich hatte sich Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) geäußert. Sie befürwortet die Einrichtung eines Runden Tisches zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, wie sie in der Welt am Sonntag bekräftigte.

© sueddeutsche.de/AP/AFP/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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