Katholische Kirche:Exodus in Köln

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"Der Erzbischof von Köln hat als moralische Instanz versagt und zeigt bis heute keine Haltung" - das sagt der Vorsitzende des Diözesanrats über Kardinal Rainer Maria Woelki. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Dem Erzbistum laufen die Gläubigen davon, die interne Kritik an Kardinal Woelki wegen seiner Aufarbeitung des Missbrauchsskandals wird immer lauter: 34 Priester fordern jetzt einen "Ausweg aus dieser Not".

Von Annette Zoch, München

Rot, rot, rot - bis Ende März ist der Kalender rot. Keine Termine mehr frei. Wer in Köln und Umgebung seinen Austritt aus der Kirche erklären und dafür auf der Homepage des Amtsgerichts einen Termin buchen will, muss bis April warten. Dabei war die Zahl der Online-Termine schon aufgestockt worden, von zunächst 600 auf zuletzt 1000 Termine pro Monat. Doch auch das Zusatzkontingent war schnell weg, sagte Maurits Steinebach, der Sprecher des Amtsgerichts. Am nächsten Montag werden die Termine für April freigeschaltet.

Der Kölner Stadt-Anzeiger berichtet von einer "Welle von Kirchenaustritten in noch nie da gewesenem Ausmaß". Aufs Jahr hochgerechnet entsprächen die Austritte einem Anstieg um 70 Prozent. Im Jahr 2020 hatten im Bereich des Amtsgerichts Köln nach Angaben des Landesjustizministeriums 6960 Christinnen und Christen beider Konfessionen ihren Kirchenaustritt erklärt.

Die Austrittswelle fällt zusammen mit einem lange schwelenden Konflikt um die Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum. Kardinal Rainer Maria Woelki hatte Ende Oktober 2020 bekannt gegeben, ein bei der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) in Auftrag gegebenes Gutachten zur Verantwortung hochrangiger kirchlicher Würdenträger bei der Verfolgung von Missbrauchsfällen nicht wie geplant zu veröffentlichen. Das Erzbistum verwies dabei auf methodische Mängel und Persönlichkeitsrechte. Die Untersuchung ist seither unter Verschluss. Die damaligen Vorsitzenden des Kölner Betroffenenbeirats wurden nach eigenen Angaben von der Kirchenleitung überrumpelt und gaben ihr Plazet, das WSW-Gutachten nicht zu veröffentlichen, ohne es selbst zu kennen. Sie sagen heute, sie seien getäuscht worden, und sind zurückgetreten.

Auch Woelki selbst steht unter Vertuschungsverdacht

Der Konflikt hat inzwischen das ganze Erzbistum in eine tiefe Krise gestürzt: Nachdem in den vergangenen Wochen immer mehr Pfarreien offene Briefe veröffentlichten und scharfe Kritik an Woelki übten, legen 34 Priester jetzt nach: In dem Schreiben verlangen sie von der Bistumsleitung die Übernahme persönlicher Verantwortung. Die Verfasser, unter ihnen der Sekretär des Kölner Priesterrats, Jochen Thull, schildern Woelki ihre "immer stärkere innere Distanzierung" von der Bistumsleitung und sprechen von einem zunehmenden Loyalitätskonflikt. Auch die Gläubigen gingen immer weiter auf Distanz zur Kirche. Insbesondere die Arbeit der Jugendseelsorger sei erschwert, weil ihnen "kein Vertrauen mehr geschenkt" werde.

Die Autoren des Briefs schreiben, sie seien nicht bereit, "bei dieser Entwicklung still resignierend zuzuschauen", und verlangen als "Ausweg aus dieser Not" von der Bistumsleitung einen "wahrhaftigen und transparenten Umgang mit eigenen Fehlern" in der Missbrauchsaufarbeitung sowie die "Erkenntnis strukturellen Versagens in Vergangenheit und Gegenwart".

Auch gegen Kardinal Woelki selbst werden inzwischen Vertuschungsvorwürfe erhoben: Im Dezember wurde der Fall von Pfarrer O. bekannt, der sich in den 70er-Jahren an Jungen im Kindergartenalter vergangen haben soll. Woelki war mit O. gut bekannt und soll seinen Fall im Jahr 2014 nicht wie vorgeschrieben nach Rom gemeldet haben - unter Verweis auf den schlechten Gesundheitszustand des damals hoch betagten und inzwischen verstorbenen Priesters. In diesem Fall hatte Woelki Papst Franziskus um Prüfung gebeten. Kirchenrechtlich zuständig für Woelki wäre aber sein Mitbruder, der Münsteraner Bischof Felix Genn. Bislang gibt es noch keine Antwort aus Rom.

Am Freitag wird auch in Berlin ein Gutachten vorgestellt

An diesem Freitag richten sich die Blicke aber erst mal nach Berlin: Dort wird ebenfalls ein Gutachten zu sexualisierter Gewalt im Erzbistum seit 1949 vorgestellt. Es gehe darum, "Strukturen aufzudecken, die in der Vergangenheit sexuellen Missbrauch innerhalb des Erzbistums ermöglicht oder erleichtert und dessen Aufklärung und Ahndung erschwert haben", so das Erzbistum Berlin.

Nicht zu erwarten ist allerdings, dass in dem Gutachten Namen handelnder Personen genannt werden. Autoren der Berliner Studie sind Rechtsanwälte der Kanzlei Redeker Sellner Dahs (RSD). Das ist insofern interessant, weil RSD das Erzbistum Köln bei seinem Entschluss, das WSW-Missbrauchsgutachten nicht publik zu machen, äußerungsrechtlich beraten hatte. Erzbischof in Berlin war übrigens von 2011 bis 2014: Rainer Maria Woelki.

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