Katalonien:Mit Knüppeln gegen Urnen

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Spaniens Polizei behindert das illegale Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens auf äußerst rabiate Weise. Barcelonas Bürgermeisterin Colau wirft Ministerpräsident Rajoy "Feigheit" vor.

Von Thomas Urban, Barcelona

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(Foto: Geraldine Hope Ghelli/Bloomberg)

Polizisten verlieren die Nerven: Beim Einsatz gegen das Referendum in Katalonien gehen die Einsatzkräfte mit großer Härte gegen harmlose Bürger vor.

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(Foto: Emilio Morenatti/dpa)

7,5 Millionen Einwohner zählt die Region, deren Regierung das Referendum am Sonntag im Alleingang abhält, obwohl es laut Verfassungsgericht gegen die spanische Konstitution verstößt.

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(Foto: Bob Edme/dpa)

Gerichte hatten Schuldirektoren verpflichtet, ihre Räume nicht für das Referendum zur Verfügung zu stellen. Viele Bürger wachen deshalb in der Nacht darüber, dass die Schulen nicht versiegelt werden.

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(Foto: Nicolas Carvalho Ochoa/dpa)

Die Befürchtung, dass wegen des Regens die Wähler zu Hause bleiben könnten, bewahrheitet sich nicht.

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(Foto: Dan Kitwood/Getty Images)

Vom frühen Morgen an machen sich allein in Barcelona Zehntausende auf den Weg zu den Wahllokalen, um ihre Stimme abzugeben.

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(Foto: Josep Lago/AFP)

Schon lange hatte sich ein Großteil der Bevölkerung eine Volksbefragung über die Abspaltung der Region gewünscht - und das, obwohl nicht einmal die Hälfte der Bürger wirklich für die Trennung ist.

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(Foto: Matthias Oesterle/dpa)

Am Vortag hatten sowohl in Madrid als auch in Barcelona (Foto) Tausende mit spanischen und katalanischen Fahnen für die Einheit Spaniens und gegen das Referendum demonstriert.

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(Foto: Emilio Morenatti/dpa)

Am Sonntag fahren dann die nationale Polizei und die Guardia Civil vor vielen Wahllokalen auf, um diese zu "deaktivieren". Sie feuern Tränengaspatronen ab,...

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(Foto: Emilio Morenatti/dpa)

...gehen mit Knüppeln gegen Sitzblockaden vor, und angeblich werden sogar Gummigeschosse abgefeuert, obwohl das in Katalonien illegal ist.

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(Foto: Manu Brabo/dpa)

Es gibt Hunderte Verletzte. Die nationalen Fernsehsender in Madrid behandeln solche Vorfälle als marginal - anders die auf Katalanisch sendenden Nachrichtenkanäle.

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(Foto: Ruaridh Stewart/dpa)

Spaniens Ministerpräsident Rajoy verweigert Katalonien seit Jahren eine offene Debatte. Der Polizeieinsatz vom Sonntag könnte die Unabhängigkeitsbewegung (Archivfoto) sogar noch verstärken.

Der große Tag begann schlecht für die Verfechter der Loslösung Kataloniens vom Königreich Spanien: Es regnete in Strömen. Doch die Befürchtungen, dass dann die Wähler zu Hause bleiben, zerstreuten sich schnell. Vom frühen Morgen an waren wohl Zehntausende allein in Barcelona auf den Beinen und machten sich auf den Weg zu den Wahllokalen. 3215 sollten es in der gesamten Region sein, die 7,5 Millionen Einwohner zählt, allein in der Metropole Barcelona 163.

Dann kam zumindest in den Städten alles wie erwartet: Die nationale Polizei und die Guardia Civil, die Madrid unterstehende kasernierte Polizeitruppe, fuhren vor vielen Wahllokalen auf, die sich meist in Schulen oder Bürgerhäusern befanden. Schnell machten Sequenzen von martialisch auftretenden Polizisten in schwarzer Kampfmontur die Runde in sozialen Netzwerken. Sie feuerten Tränengaspatronen ab, gingen mit Knüppeln gegen Sitzblockaden vor, angeblich wurden sogar Gummigeschosse abgefeuert, obwohl das in Katalonien laut einem regionalen Parlamentsbeschluss illegal ist.

Die regionale Gesundheitsbehörde meldete am Abend 844 Verletzte, bei zweien sei der Zustand ernst. Das Innenministerium in Madrid berichtete von 30 verletzten Polizisten. Die Einsatzleiter der nationalen Polizei waren offenkundig gehalten, ihre Aufträge möglichst ohne Gewalt auszuführen. Gelungen ist dies aber vielerorts nicht. Je weiter der Tag fortschritt, desto öfter verloren Polizisten beim Versuch, Wahllokale zu "deaktivieren", die Nerven: Schlagstöcke flogen, Sitzende wurden getreten oder brutal weggeschleift. Die nationalen Fernsehsender in Madrid behandelten die Vorfälle als marginal, die auf Katalanisch sendenden Kanäle aber zeigten Handybilder, wo Polizisten mit Äxten Türen und Scheiben einschlagen oder mit Brecheisen Schränke öffnen. In den Madrider Kanälen lobten Bürger überschwänglich die Regierung von Mariano Rajoy: Nun werde das "Chaos in Katalonien" beseitigt.

Die Zeitung El País rügte, dass die Abstimmung keinerlei demokratischen Kriterien genüge.

Am Vortag hatten im Zentrum Madrids und vor dem Regierungssitz in Barcelona Tausende mit spanischen und katalanischen Fahnen für die Einheit Spaniens und gegen das Referendum demonstriert, das Kataloniens Regionalregierung im Alleingang abhielt, obwohl es laut Verfassungsgericht gegen die spanische Konstitution verstößt. In Barcelona versuchten Dutzende Traktoren aus dem Umland, die Solidaritätskundgebung für die Zentralregierung zu blockieren. Gerichte hatten Bürgermeister und Schuldirektoren verpflichtet, ihre Räume nicht für die Abstimmung zur Verfügung zu stellen. Die Richter drohten ihnen mit Amtsenthebung, aktive Wahlhelfer riskieren 3000 Euro Strafe. Die Initiatoren in der katalanischen Führung können sogar wegen "Rebellion" ins Gefängnis kommen.

Die Polizei hatte den Auftrag, Wahlurnen zu beschlagnahmen. Seit Wochen hatte sie, wohl mit Unterstützung des spanischen Geheimdiensts, nach ihnen gesucht. Erst am Freitag hatte die Führung in Barcelona ein Exemplar präsentiert. Die Urnen sind transparent, hergestellt wurden sie angeblich in China. Sie wurden offenbar in Sakristeien, Kindergärten, Scheunen, auf Krankenstationen und Schrottplätzen versteckt. Einige Medien in Barcelona freuten sich über ein Katz-und-Maus-Spiel mit den spanischen Behörden. In der Nacht zum Sonntag hatte die Guardia Civil das Rechenzentrum der Regierung in Barcelona besetzt. So sollte die Auswertung der Abstimmung unmöglich gemacht werden. In Barcelona hatte man aber ein Parallelsystem vorbereitet. In vielen Schulen, die als Wahllokale vorgesehen waren, hatten Bürger in der Nacht zum Sonntag darüber gewacht, dass sie nicht von der Polizei versiegelt würden. Offiziell waren dort Kulturnächte angesetzt. Viele der Teilnehmer kamen mit Schlafsäcken, darunter viele Kinder. Die liberale Bürgerpartei Ciudadanos, die gegen die Loslösung Kataloniens streitet, kündigte Strafanzeigen wegen der "Instrumentalisierung von Kindern" an.

Sie ist in Barcelona die größte Oppositionspartei. In der Stadt Girona stoppte eine Polizeieinheit die Wagenkolonne des regionalen Regierungschefs Carles Puigdemont auf der Fahrt zu einem Wahllokal. Er wählte später unbehelligt in einem Nachbarort. Ganz in Schwarz gekleidet traf Ada Colau, linksalternative Bürgermeisterin von Barcelona, Demonstranten. Sie hatte lange gezögert, ob sie das Referendum unterstützen solle. Sie beschuldigte die Zentralregierung des brutalen Einsatzes gegen friedliche Bürger. Dem spanischen Ministerpräsidenten Rajoy warf sie vor, monatelang den Dialog mit der katalanischen Führung verweigert zu haben; unter Beifall der Umstehenden rief sie: "Rajoy ist ein Feigling!" Rajoy verweigert Katalonien Zugeständnisse über den Länderfinanzausgleich, von dem Katalonien sich benachteiligt fühlt - diese harte Haltung hat die Unabhängigkeitsbewegung gestärkt.

Der Chef der Sozialisten und Oppositionsführer Pedro Sánchez rief zur Bewahrung der Ruhe auf, damit "das Zusammenleben gewinnt".

Angesichts der Gewalt in der Stadt wurde das Ligaspiel des FC Barcelona gegen Las Palmas am Sonntagabend aus Protest ohne Zuschauer ausgetragen - der Verein hatte eine Verlegung des Spiels beantragt, der Fußballverband dies abgelehnt. Das Stadion Camp Nou gilt als Hochburg der Sezessionisten. Die Barca-Spieler wärmten sich in Trikots in den katalanischen Farben auf. Die Spieler von Las Palmas trugen auf ihren Hemden die spanische Fahne - und verloren das Spiel 0:3.

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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