Katalonien:Eine Wahl der Gegensätze

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"Freiheit" fordert dieser Mann vor Barcelonas Wad-Ras-Gefängnis, in das nun separatistische Politiker wieder einrücken mussten. (Foto: Thiago Prudencio/imago images/ZUMA Wire)

Wenn Katalonien im Februar über ein neues Parlament abstimmt, könnten die Separatisten erstmals die absolute Mehrheit erringen. Während Ex-Präsident Puigdemont an Einfluss verliert, erstarken neue Kräfte.

Von Karin Janker, Madrid

Wenn an diesem Montag offiziell das katalanische Parlament aufgelöst und die Neuwahl für den 14. Februar ausgerufen wird, beginnt der Endspurt zu einer in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen Wahl. Nicht nur die Tatsache, dass die Abstimmung vermutlich mitten in die dritte Welle der Corona-Pandemie fallen wird, macht sie besonders. Nötig wird die Neuwahl, weil der bisherige katalanische Regionalpräsident Quim Torra Ende September von der spanischen Justiz wegen Ungehorsams seines Amts enthoben wurde.

Droht nun also ein heftiger Wahlkampf, in dem sich Befürworter und Gegner der katalanischen Unabhängigkeit einmal mehr mit Unversöhnlichkeit begegnen? Jein. Einerseits soll der offizielle Wahlkampf mit Kundgebungen und Wahlwerbung pandemiebedingt auf eine Woche eingekürzt werden. So soll Geld gespart und das Ansteckungsrisiko auf Veranstaltungen minimiert werden, heißt es aus Barcelona.

Andererseits lässt sich kaum leugnen, dass der Wahlkampf in Wirklichkeit längst begonnen hat. Für die Linksrepublikaner der ERC, die in den Umfragen führen, begann er spätestens mit der Verabschiedung des Staatshaushalts für 2021 vor zwei Wochen in Madrid. Der ERC war es gelungen, Ministerpräsident Pedro Sánchez im Gegenzug für ihre Zustimmung zu seinem Haushaltsentwurf einige Zugeständnisse abzuringen. Nun können die Linksrepublikaner dank Sánchez in Katalonien damit werben, bei der Zentralregierung 2,3 Milliarden Euro für die Region herausgehandelt zu haben.

Keine schlechten Ausgangsbedingungen für Pere Aragonès, der nach Torras Amtsenthebung kommissarisch das Amt des Regionalpräsidenten übernommen hat und als Spitzenkandidat den Wahlsieg für die ERC einfahren könnte - und damit für den katalanischen Separatismus. Dieser ist allerdings seit Monaten in internen Zwist verstrickt. Das ist besonders misslich, weil bei dieser Wahl die separatistischen Parteien zusammengenommen erstmals die absolute Mehrheit der Stimmen erringen könnten. So prognostiziert es das staatliche Meinungsforschungsinstitut CIS.

Die Parteien sind uneins, mit welchem politischen Stil die Unabhängigkeit erreicht werden soll

Doch es knirscht zwischen ERC und JXCat, dem Wahlbündnis um den früheren katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont. Erklärtes Ziel beider Parteien ist die Unabhängigkeit. Uneins sind sie sich jedoch in der Frage, mit welchen Mitteln und auch mit welchem politischen Stil dieses Ziel zu erreichen ist. Während JXCat nach wie vor die offene Konfrontation mit der Zentralregierung in Madrid sucht, gibt sich ERC gesprächsbereit. Man wolle den Konflikt mit Madrid "über den Weg der Verhandlung und Demokratie" lösen.

Nicht nur zwischen ERC und JXCat gibt es Streit, auch innerhalb Puigdemonts Partei schwelt ein Konflikt, der den Ausgang der Wahl beeinflussen dürfte. Brisant ist vor allem die Personalie der neuen Spitzenkandidatin Laura Borràs. Die Literaturwissenschaftlerin ist eine Freundin Quim Torras, sie war in seiner Regierung für Kultur zuständig. Anders als Torra, der sich stets als Stellvertreter des nach Brüssel geflohenen Puigdemont bezeichnet hat, bricht Borràs jedoch mit dieser Tradition. Sie will nicht im Schatten des Exilanten stehen.

Es ist kein Geheimnis, dass Puigdemont sie nicht besonders schätzt und eigentlich einen anderen Spitzenkandidaten wollte, einen gemäßigteren. Die streitbare Borràs wurde von ihrer Partei aufgestellt, obwohl gegen sie ein Verfahren vor Spaniens Oberstem Gerichtshof läuft. Dieses hat zwar nichts mit der Unabhängigkeit Kataloniens zu tun - Borràs werden Günstlingswirtschaft und Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen - doch es passt insofern ins Bild, als dass die Verfolgung durch die spanische Justiz mittlerweile zum zentralen Narrativ des katalanischen Separatismus gehört.

Puigdemonts Strahlkraft lässt nach, nur der Opposition dient er noch als rotes Tuch

Borràs' Nominierung ist ein Indiz dafür, dass Puigdemonts Stern im Sinken ist. Seit drei Jahren befindet er sich im belgischen Exil. Zwar schreibt er von dort aus regelmäßig Kommentare und Essays über das politische Geschehen in der Heimat, doch wird seine Strahlkraft dort zunehmend schwächer.

Lediglich für die Opposition dient er noch als rotes Tuch, mit dem im Wahlkampf wieder gewedelt wird. So warnte die katalanische Sozialistin Eva Granados kürzlich: Wer die Linksrepublikaner wähle, wähle letztlich Puigdemont. Der Name allein genügt, um klarzumachen, was die Sozialisten verhindern wollen: eine neue Regierung aus ERC und JXCat, die womöglich alles daran setzt, das Unabhängigkeitsreferendum von 2017 zu wiederholen.

Die Wahl im Februar dürfte knapp ausgehen. Bislang sagt das Umfrage-Institut CIS den separatistischen Parteien eine Mehrheit von 50,8 Prozent der Stimmen voraus. Dieselbe Umfrage erbrachte allerdings auch ein Ergebnis, das dazu im paradoxen Gegensatz steht: Auf die Frage, ob Katalonien ein unabhängiger Staat sein soll, antworteten nur 43,6 Prozent der Befragten mit Ja, 49 Prozent waren dagegen. So zeigt sich knapp zwei Monate vor der Wahl, wie vertrackt die Lage ist: Die Unabhängigkeitsbefürworter könnten die Wahl gewinnen, ohne dass die Mehrheit der Wähler tatsächlich die Unabhängigkeit befürwortet.

Einen möglichen Ausweg deutete ERC-Kandidat Aragonès kürzlich im Interview mit La Vanguardia an: Kataloniens künftige Regierung müsse auch über den Separatismus hinaus Bündnisse schmieden. Im Madrider Parlament hat die ERC bei der Verabschiedung des Haushalts gerade vorgemacht, was Aragonès damit meint. Sein Pragmatismus könnte zum entscheidenden Machtfaktor in Katalonien werden.

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