Kasachstan:Ohne Angabe von Gründen

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Nursultan Nasarbajew trat 2019 als Präsident zurück, natürlich nicht, ohne sich vorher Einfluss, Reichtum und Straffreiheit zu sichern. (Foto: Shamil Zhumatov/Reuters)

Dauer-Präsident Nursultan Nasarbajew tritt nach fast drei Jahrzehnten ab.

Von Frank Nienhuysen, München

Er war irgendwie schon immer da, und das nicht nur gefühlt. Nursultan Nasarbajew hat 1991 die alte Sowjetunion mit abgetragen; er regierte Kasachstan bereits, als es noch eine Sowjetrepublik war und ein antiquiert klingendes Machtorgan namens Oberster Sowjet hatte, dessen Vorsitzender er natürlich war. Niemals in drei Jahrzehnten hatte das unabhängige Kasachstan einen anderen Präsidenten. Fünf Mal ließ er sich mit Prozentzahlen jenseits der 90 im Amt bestätigen. Aber nun muss sich das Land auf neue Zeiten einstellen. Nursultan Nasarbajew, 78, gab am Dienstag seinen Rücktritt bekannt.

Staatsmännisch saß er am Schreibtisch, als er sich in seiner Fernsehansprache bei der Bevölkerung bedankte, die er all die Jahre mit autoritärer Strenge geführt hat. Er sprach von einer "großen Ehre", davon, dass er dem Land "bis ans Ende meiner Tage weiterhin" dienen werde. Bald werde es Neuwahlen geben, solange wird der bisherige Parlamentssprecher das Amt des Staatschefs führen. Was Nasarbajew nicht sagte: wieso er als Präsident zurücktritt.

Leiter des einflussreichen nationalen Sicherheitsrats wird er bleiben, ebenso Chef der Regierungspartei Nur Otan, die im Parlament keine Gegenwehr fürchten muss. Lebenslange Immunität genießen Nasarbajew und seine Familie ohnehin. Er dürfte also auch künftig die vielleicht mächtigste aller Stimmen in dem ölreichen zentralasiatischen Land haben. Und ganz so abrupt wirkt die Entscheidung ohnehin nicht.

Über eine mögliche Nachfolgeregelung des kasachischen Dauerpräsidenten ist seit Langem immer wieder spekuliert worden. Vor einigen Jahren kochten Gerüchte hoch, als er einmal, offiziell wegen Erkältung, eine Auslandsreise absagen musste. Denn das ist stets die große Frage in einem Staat mit Führerkult: Was ist, wenn das Land eines Tages doch mal ohne ihn auskommen muss? Im benachbarten Usbekistan war die Angst groß, als vor wenigen Jahren Herrscher Islam Karimow starb: Würde es nun Chaos geben, Anarchie, Bürgerkrieg? Nasarbajew will offenbar für Kasachstan diese Episode der Unsicherheit vermeiden.

Angedeutet hat die bevorstehende kasachische Zäsur im vergangenen Jahr bereits der Senatspräsident. In einem Aufsehen erregenden Interview zog er offen in Zweifel, dass Staatschef Nasarbajew bei der nächsten Präsidentenwahl im kommenden Jahr noch einmal antreten werde. Es war unvorstellbar, dass er eine solche Überlegung über die Macht im Land einfach so dahergeplappert haben könnte.

Es sieht eher nach einer wohl durchdachten Choreographie in einem Land aus, das zwar das wohlhabendste in der Region ist, aber mit großen wirtschaftlichen Problemen fertig werden muss. Vor wenigen Wochen erst entließ Nasarbajew die gesamte kasachische Regierung und hielt ihr vor, sie habe in der Wirtschaftspolitik versagt, schaffe es nicht, die Abhängigkeit von Öl und Gas zu mindern und, überhaupt, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Das ist ein vernichtendes Zeugnis und soll offensichtlich deutlich machen, dass er sich nach drei Dekaden machtvoller Präsidentschaft so erhaben fühlt, als sei er selber für das konkrete Tagesgeschäft nicht weiter verantwortlich.

Schon lange fühlte er sich über das schnöde Tagesgeschäft erhaben

Vor allem die Lage in den ärmeren, ländlichen Gebieten Kasachstans, das der neuntgrößte Flächenstaat der Welt ist, unterscheidet sich deutlich vom Leben in den Großstädten wie Almaty und insbesondere der Hauptstadt Astana. Dort schafft Nasarbajew seit Jahren eine Modellstadt ganz nach seinen Vorstellungen. Futuristische Bauten wie Norman Fosters pyramidenförmiger Palast des Friedens und der Eintracht, mächtige Achsen und der Turm Bajterek gelten als Symbole der neuen Epoche der Unabhängigkeit und des Wohlstandes.

Nasarbajew wird im Land verehrt als Garant von Stabilität und Wohlstand, doch die Finanzkrise in Russland, mit dessen Markt Kasachstan eng verbunden ist, sowie gefallene Ölpreise haben sich auf die Wirtschaft ausgewirkt. Die Proteste in Kasachstan verstärkten sich zuletzt. Nun soll ein anderer übernehmen, zumindest als Präsident.

© SZ vom 20.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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