Am Tag nach der Wahl in Kasachstan ist die Regierung noch die alte, so wie erwartet. Unerwartet heftig dagegen war die Reaktion der Menschen im Land, die gegen die manipulierte Abstimmung auf die Straße gingen. Vor allem aber haben Polizei und Militärkräfte härter und rücksichtsloser als sonst auf die Proteste reagiert. Bereits am Sonntagabend sprach das Innenministerium von 500 Festnahmen, es dürften noch weit mehr gewesen sein. Die Mehrheit sitzt Aktivisten zufolge weiterhin in Haft. Auch am Montag wurden noch Regierungskritiker in der größten Stadt Almaty und der Hauptstadt Nursultan festgenommen.
Für die Regierung war in den Wahllokalen am Sonntag alles gelaufen wie gewünscht: Kassym-Schomart Tokajew, Kandidat der regierenden Nur Otan Partei, ist als Präsident bestätigt worden. Ihm hatte Nursultan Nasarbajew sein Amt im März nach 29 Jahren autoritärer Herrschaft übergeben. Nasarbajew, der den Titel "Führer der Nation" trägt, der Partei und dem einflussreichen Sicherheitsrat vorsitzt, bestimmt jedoch weiterhin, was im Land passiert. Seinen Rücktritt betrachten Kritiker als inszenierte Machtübergabe. Womöglich ist es für ihn nur eine Übergangslösung, bis Nasarbajews Tochter aufrücken kann, die als Vorsitzende des Senats bereits an zweiter Stelle im Staat steht.
Die Regierung gibt einem Banker im französischen Exil die Schuld an den Unruhen
Tokajew erhielt nun mit dem Segen Nasarbajews knapp 71 Prozent der Stimmen. Nasarbajew selbst kam 2015 noch auf fast 98 Prozent. Nur einer der sechs Gegenkandidaten für den Nachfolger, Amirschan Kossanow, gilt überhaupt als Oppositioneller. Er kam mit gut 16 Prozent der Stimmen auf Platz zwei. Vielen Aktivisten, die zum Wahlboykott aufriefen, ist Kossanow allerdings zu kompromissbereit. Die Demonstrationen am Sonntag hat er verurteilt, nannte sie eine Provokation. Dahinter stünden "Pseudo-Oppositionelle, die im Ausland sitzen und Kaffee trinken", das Volk provozierten und die Jugendlichen "ins Feuer drängen", so Kossanow.
Er folgt damit der Erklärung des Innenministeriums, das der in Kasachstan verbotenen Gruppe "Demokratische Wahl Kasachstans" die Schuld an den Unruhen gibt. Hinter ihr steht ein Oppositioneller im französischen Exil, der Banker Muchtar Abljasow, dem Korruption vorgeworfen wird. Viele junge Aktivisten in Kasachstan distanzieren sich entschieden von ihm.
Bereits vor der Wahl gab es Straßenproteste, aber auch Einzelaktionen von jungen Kritikern und Künstlern. Die Rufe der Protestierenden waren dieselben wie in den Wochen zuvor: "Boykott" und "Wach auf, Kasachstan". Sie forderten die Polizei auf, sich auf ihre Seite zu stellen. Doch Polizisten und Soldaten nahmen Demonstranten häufig gewaltsam fest, viele Bilder zeigen, wie sie Menschen abdrängen, auseinanderreißen, gewaltsam wegtragen. "Massenverhaftungen von friedlichen Protestlern in Kasachstan sind nichts Neues", schreibt Mihra Rittmann von Human Rights Watch. Doch diesmal fielen die Proteste mit den bemerkenswertesten Wahlen der letzten Jahre zusammen, betonte sie. Und früher habe das Militär dabei auch keine ausländischen Korrespondenten und international arbeitende Menschenrechtler festgenommen, wie am Sonntag.
Für Alija Isbassarow waren es "bei Weitem die größten Proteste, die ich in meinem Leben gesehen habe". Das sagte die 25-jährige Aktivistin am Sonntag am Telefon, bevor auch sie abends festgenommen wurde. Inzwischen ist sie Berichten von Freunden zufolge wieder frei. Viele Nachrichten aus Kasachstan verbreiten sich nur über soziale Medien. Dabei funktioniert das mobile Netz derzeit offenbar nur mit Störungen oder sehr langsam. Die Regierung hatte es zuvor zeitweise abgeschaltet.
In Almaty berichten Aktivisten, dass auch am Montag noch Mitstreiter festgenommen wurden. Lejla Machmudowa war unter denen, die in der Woche vor der Wahl eine neue Bewegung gegründet haben: "Oyan, Qazaqstan", das bedeutet "Wach auf, Kasachstan". Es geht ihnen um ziviles Engagement: Die Bürger sollen ihre demokratischen Rechte einfordern, Reformen einfordern. Das Ergebnis kontrollierter Wahlen will die Gruppe nicht anerkennen.
Den Sonntag hat Lejla Machmudowa im Wahllokal verbracht und dort als Freiwillige die Abstimmung beobachtet. Die Organisation "Jugend-Informationsdienst Kasachstan" beobachtet seit 20 Jahren Wahlen mithilfe junger Freiwilliger. Dieses Jahr hat sie in insgesamt 80 Wahllokale Beobachter geschickt und noch nicht alle Ergebnisse ausgewertet. In ihrer Station sei alles fair zugegangen, sagt Lejla Machmudowa. "Aber ich weiß von anderen Orten, wo Beobachter aggressiv angegangen wurden." Die Chefin der Organisation, Irina Mednikowa, schreibt, sie sei überrascht gewesen von dem Ergebnis. In den Stationen, die sie kontrollierten, hätte Oppositionspolitiker Kossanow nah an der Führung gelegen - viel näher offenbar, als es das offizielle Ergebnis widerspiegelt. Auch die OSZE kam zu dem Schluss, dass eine ehrliche Auszählung nicht garantiert werden konnte.