Karlsruhe:Der Geist der Rutschklausel

Der Bundesgerichtshof soll erweitert werden: um einen Zivilsenat in Karlsruhe und um einen Strafsenat in Leipzig. Noch komplizierter soll es nach den Erweiterungen aber nicht werden.

Von WOLFGANG JANISCH, Karlsruhe

Es war die Zeit des Aufbaus Ost: Auf Vorschlag der Föderalismuskommission beschloss der Bundestag im Juni 1992, einer der 17 Senate des Bundesgerichtshofs, nämlich der fünfte Strafsenat, solle in Leipzig angesiedelt werden. Und für jeden neu gebildeten Zivilsenat sollte ein weiterer Strafsenat von Karlsruhe nach Leipzig umziehen. Das klang vernünftig, man gab dem Deal den optimistischen Namen "Rutschklausel". Seither ist ein Vierteljahrhundert vergangen, aber gerutscht ist nichts, im Gegenteil. Zwar stiegen in Karlsruhe die Verfahrenslasten, aber bei allen Bemühungen, ihrer Herr zu werden, gab es ein Tabu: Ja kein neuer Senat. Sonst schlägt die Rutschklausel zu. Lieber blähte man die fünfköpfigen Senate auf sieben oder acht Richter auf, die dann in wechselnder Besetzung ihre Arbeit erledigten. 2003 richtete man sogar für zwei Jahre einen Hilfssenat ein, den man aber rasch wieder abschaffte, um ja keine sächsischen Begehrlichkeiten zu wecken. Und 2013 versuchte der damalige BGH-Präsident Klaus Tolksdorf sogar, den Spieß umzudrehen: der "Fünfte" solle zurück nach Karlsruhe, forderte er. Hat aber nicht geklappt.

Der Arbeitsdruck ist offenbar zu groß geworden

Doch nun ist endlich Bewegung in die Sache gekommen. Der Haushaltsausschuss sollte in der Nacht zum Freitag (ein Ergebnis stand bei Redaktionsschluss noch aus) das Geld für einen Zivilsenat in Karlsruhe und einen Strafsenat in Leipzig zur Verfügung stellen. Ein Kompromiss also, den die Grünen-Abgeordnete Katja Keul in der FAZ als Umgehung des Beschlusses von 1992 kritisierte. Denn genau genommen, hätte der Standort Leipzig damit auf insgesamt drei Strafsenate aufgestockt werden müssen. Der SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner verteidigte den Vorschlag: "Ich finde, dass er dem Geist der Rutschklausel entspricht", sagte er der SZ.

Notwendig geworden ist die Erweiterung, weil nun der Arbeitsdruck offenbar doch zu groß geworden ist. BGH-Präsidentin Bettina Limperg hatte im Frühjahr über dramatisch steigende Zahlen beispielsweise bei den Revisionen im Staatsschutz berichtet; Karlsruhe bekam die Zunahme terroristischer Aktivitäten zu spüren. Auch die zeitweise sehr hohe Zahl von Flüchtlingen schlug auf den BGH durch, der für Beschwerden gegen Abschiebehaft zuständig ist. Und schon lange dringt man im BGH auf eine wirksame Verfahrensbremse. Bisher gilt: Wenn ein Oberlandesgericht die Revision zum BGH nicht ausdrücklich zugelassen hat, kann der Betroffene dagegen Beschwerde einlegen - aber nur bei einem Streitwert von mehr als 20 000 Euro. Diese Vorschrift gilt nur befristet und ist aus BGH-Sicht zu niedrig. Dort zieht man jedenfalls einen wirksamen Filter einer Aufstockung vor. Denn jeder neue Senat bringt Abgrenzungsschwierigkeiten, womit das Risiko sich widersprechender Urteile wächst. Und noch komplizierter, da sind sich alle einig, sollte es beim BGH wirklich nicht werden.

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