Der Sitzungssaal war brechend voll, allein das Bundesfinanzministerium lief in der Stärke einer Fußballmannschaft auf, inklusive Auswechselspieler. Aber das ist nicht so ungewöhnlich. Wenn es um viel Geld geht - diesmal: fast 14 Milliarden Euro Grundsteuer -, dann wird das Bundesverfassungsgericht zum beliebten Reiseziel für Politiker, Ministerialbeamte und Verbandsvertreter. Lustig war aber, dass sie offenbar gar nicht gekommen waren, um die derzeitige Regelung der Grundsteuer zu retten. Sondern um den Ersten Senat unter Vorsitz von Ferdinand Kirchhof um viel, um sehr viel Zeit zu bitten, das wohl doch verfassungswidrige Gesetz zu reparieren.
Das stimmt natürlich nicht ganz. Finanz-Staatssekretär Michael Meister und sein juristischer Vertreter Klaus-Dieter Drüen boten schon einigen rhetorischen Aufwand auf, um dem Gericht deutlich zu machen, dass es gar nicht so schlimm sei, wenn die Grundsteuer an Immobilienwerte anknüpfe, die zuletzt 1964 (im Westen) respektive 1935 (in den östlichen Bundesländern) erhoben worden seien. Das war zwar jeweils keine 20 Jahre nach Weltkrieg zwei und Weltkrieg eins, da dürften manche Häuser noch die Narben der Kriege getragen haben. Nach Meisters Einschätzung ist es aber nicht entscheidend, dass der exakte Grundstückswert ermittelt werde, sondern dass die Eigentümer zumindest im Großen und Ganzen einigermaßen gleich besteuert werden. Und sei es mit ungenauen Werten.
Allein die Neubewertung der 36 Millionen Grundstücke würde bis zu sieben Jahre dauern
Trotzdem ging der Staatssekretär ziemlich zügig zur Warnung über, welch gewaltigen administrativen Aufwand es nach sich zöge, falls Karlsruhe - gegen sein Plädoyer - die Grundsteuer in einigen Monaten doch für verfassungswidrig erklären sollte. Allein die Neubewertung der 36 Millionen Grundstücke würde fünf bis sieben Jahre dauern, warnte er, die Gesetzgebung für neue Messzahlen und Hebesätze gar nicht eingerechnet. Und Margaretha Sudhof, Staatssekretärin in der Berliner Senatsverwaltung, schilderte plastisch, wie kompliziert die bereits anlaufende Vernetzung von Bodenrichtwerten und Daten der Kataster- und Grundbuchämter sein werde - immerhin mit der Aussicht, die für die Steuer so wichtigen Grundstückswerte dann automatisiert zu erheben. Weil auch dies dem Gericht die Notwendigkeit einer großzügigen Übergangsfrist signalisieren sollte, bat Kirchhof vorsorglich um Verständnis, dass man ein verfassungswidriges Gesetz wohl nicht zehn Jahre weitergelten lassen könne. Sein Kollege Andreas Paulus verwies auf die Karlsruher Usancen bei solchen Fristen: "Zehn Jahre haben wir bisher noch nicht gehabt."
Früher war ein Grundstück an der Berliner Mauer unattraktiv, heute ist es ein Filetstück
Aber werden die acht Richterinnen und Richter denn die Grundsteuer tatsächlich kippen? Ihre Fragen lassen erahnen, dass sie das derzeitige System ebenso kritisch sehen wie der Bundesfinanzhof, der dem Karlsruher Gericht drei Fälle vorgelegt hat. Ein Beispiel eines der Beschwerdeführer machte deutlich, wie weit sich Grundstücke von ihrem Wert im Jahr 1964 entfernt haben können. Damals sei ein Grundstück an der Berliner Mauer äußert unattraktiv gewesen, heute sei es ein sogenanntes Filetstück. Michael Eichberger, im Senat zuständiger Berichterstatter für das Verfahren, sprach von "Verwerfungen", die dazu führen könnten, dass man ganz anders besteuert werde als der eigene Nachbar. Andreas Paulus erinnerte daran, dass ein Gebäude, das 1964 auf der Höhe der Zeit ausgestattet war, nicht vergleichbar sei mit einer energieeffizienten Topimmobilie von heute. Und sein Kollege Johannes Masing zeigte zwar Verständnis dafür, dass man bei einem Massengeschäft wie der Grundsteuer "typisieren", also grobe Kategorien schaffen müsse. Ob das aber über die große Zeitspanne seit 1964 hinweg gelingen könne, sei doch "sehr zweifelhaft".
So absehbar das Ergebnis zu sein scheint: Die Formulierung des Urteils wird gleichwohl kompliziert werden. Denn hinter dem Streit über die Länge der Umsetzungsfrist steckt auch die Frage, wie ein neues Steuermodell eigentlich aussehen könnte. Nach mehrjährigen Reformbemühungen wurde 2016 eine Bundesratsinitiative vorgelegt, die aber am Widerstand Bayerns und Hamburgs scheiterte. Das Konzept knüpft am "Kostenwert" der Immobilien an und zöge vermutlich einen nicht unerheblichen Bürokratieaufwand nach sich. Sehr viel schlankere Konzepte werden derweil von einem Bündnis unter Beteiligung des Deutschen Mieterbundes sowie vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft propagiert. Weil sie nicht am Wert der Immobilie anknüpfen, sondern die Grundsteuer bezogen auf die Fläche ermitteln wollen, sind sie sehr viel schlanker in der Umsetzung. Daran dürfte Richterin Susanne Baer gedacht haben, als sie nach anderen "Visionen" fragte. So komplex müsse es doch nicht sein, sagte sie. "Es kann auch einfacher sein und sehr schnell gehen."