Deutschland wird zum ersten Mal seit 16 Jahren wieder von einem Sozialdemokraten regiert. Der Bundestag wählte am Mittwoch den bisherigen Finanzminister Olaf Scholz zum Bundeskanzler. Er führt die erste Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP in der Geschichte der Bundesrepublik. Scholz löst Angela Merkel ab, die Christdemokratin verfolgte die Wahl ihres Nachfolgers auf der Ehrentribüne.
An der Abstimmung beteiligten sich 707 der 736 Abgeordneten. Scholz erhielt 395 Stimmen, nötig waren 369. SPD, Grüne und FDP stellen zusammen 416 Abgeordnete, ein halbes Dutzend von ihnen fehlte wegen Krankheit. Der neue Kanzler wurde also nicht von allen Koalitionsabgeordneten unterstützt. Derlei ist aber nichts Ungewöhnliches. Merkel konnte bei keiner einzigen ihrer vier Wahlen zur Kanzlerin alle Koalitionsabgeordneten hinter sich versammeln.
Am Nachmittag übergab Merkel das Kanzleramt an Scholz. Dabei sagte die bisherige Regierungschefin: "Nehmen Sie dieses Haus in Besitz und arbeiten Sie mit ihm zum Besten unseres Landes." Kanzler zu sein, sei "eine fordernde Aufgabe, aber wenn man sie mit Freude angeht, dann ist es vielleicht auch eine der schönsten Aufgaben, die es gibt".
Scholz bedankte sich bei Merkel für deren Arbeit, sie habe "Großartiges bewegt" und dieses Land geprägt. Merkel habe in ihrer Amtszeit viele Krisen zu bewältigen gehabt, manche davon habe man "gemeinsam durchgestanden". Das habe "zusammengeschweißt". Er freue sich jetzt auf seine neue Aufgabe, es "soll ein guter Aufbruch werden für unser Land".
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte bei der Ernennung der neuen Ministerinnen und Minister: "Die Welt schaut auf unser Land." Die Erwartungen an die neue Regierung seien groß. Deutschland stehe vor gewaltigen Herausforderungen. Egal "ob Klimawandel oder Digitalisierung, internationaler Wettbewerb oder Migration": Die Antworten der neuen Regierung würden das künftige Gesicht des Landes prägen. Neben großen innenpolitischen Vorhaben werde die Ampel-Koalition aber auch "Verantwortung für das Handeln unseres Landes in Europa und der Welt tragen". Deutschland sei "keine abgelegene Insel - weder sind wir autark, noch wollen wir es sein". Das Einstehen "für die liberale Demokratie und für das vereinte Europa, für den Frieden und unsere Sicherheit im Bündnis", all das werde der neuen Regierung deshalb "viel Zeit und Mühe abverlangen".
Scholz begann unmittelbar nach der Übergabe des Kanzleramts mit der Arbeit. Am Abend kam das Kabinett zur ersten Sitzung zusammen. An diesem Donnerstag wird Scholz das Finanzministerium, das er bisher geleitet hat, an seinen Nachfolger Christian Lindner (FDP) übergeben. Anschließend gibt es eine Konferenz mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten. Dabei wird es vor allem um die Bekämpfung der Corona-Pandemie gehen.
Dazu hatte auch der Bundespräsident aufgerufen. Bei der Ernennung der Minister sagte er: "Die Menschen hoffen darauf, dass Sie Führung zeigen und - gemeinsam mit den Ländern - die notwendigen Maßnahmen ergreifen." Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU), bot Scholz eine "konstruktive Zusammenarbeit" an. Vor allem die Corona-Pandemie erfordere "einen klaren Kurs und konsequentes, gemeinsames Handeln von Bund und Ländern", sagte Wüst.
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus, er ist jetzt der Oppositionsführer, kündigte einen konstruktiven Umgang mit der neuen Regierung an. Die Abgeordneten von CDU und CSU würden Angelegenheiten, die falsch liefen, kritisieren, aber bei Angelegenheiten, die richtig seien, mitmachen, sagte er. Es solle auch keine Blockadepolitik im Bundesrat geben.
Am Freitag wird Scholz nach Paris und Brüssel fliegen. Auf dem Programm stehen Antrittsbesuche beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron, bei der EU-Kommissionschefin, dem Präsidenten des Europäischen Rates und dem Nato-Generalsekretär. Macron schrieb via Twitter an Scholz: "Das nächste Kapitel werden wir zusammen schreiben. Für die Franzosen, für die Deutschen, für die Europäer. Wir sehen uns am Freitag!"