Kanzlerin:Ein Hoch auf uns

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Angela Merkel ist bewegt vom Umgang der Deutschen mit den Flüchtlingen - und ein bisschen auch von ihrer Koalition.

Von C. Hickmann und R. Roßmann

Angela Merkel kann so schnell nichts mehr aus der Ruhe bringen. Die Frau ist bereits das zehnte Jahr Kanzlerin. Die Zahl der Krisen, die sie zu bewältigen hatte, ist Legion. Aber so eine Herausforderung hat selbst Merkel noch nicht erlebt. Und das merkt man ihr an diesem Tag auch an.

Die Kanzlerin ist nicht gerade dafür bekannt, ihre Gefühlswelt nach außen zu tragen. Doch die vergangenen Wochen haben auch sie sichtlich bewegt. Hunderttausende Flüchtlinge suchen ihr Glück in Deutschland. Am Wochenende kamen allein am Münchner Hauptbahnhof fast 20 000 Asylbewerber an. Es ist die größte Herausforderung einer Bundesregierung seit dem Fall der Mauer. Merkel ist eine Meisterin der bürokratischen Sprache, die Kanzlerin redet normalerweise, wie Beamte schreiben. Aber an diesem Montag ist das anders.

Deutschland habe "ein bewegendes, ja zum Teil atemberaubendes Wochenende" hinter sich, sagt die Kanzlerin. Sie danke allen, die mitgeholfen haben. Und ja, sie finde es "durchaus bewegend", dass sie von vielen Flüchtlingen als "Mama" oder Retterin gepriesen werde. Sie bilde sich aber nicht ein, dass es dabei nur um sie gehe. Das Lob gelte ganz Deutschland, auch den vielen Bürgern, die an den Bahnsteigen stünden, um die ankommenden Flüchtlinge zu begrüßen.

In der Nacht zum Montag hat sich der Koalitionsausschuss sechs Stunden lang mit der Flüchtlingskrise beschäftigt. Merkel steht jetzt zusammen mit SPD-Chef Sigmar Gabriel im Kanzleramt, um die Ergebnisse zu präsentieren. Es sind - um das vorwegzunehmen - erstaunlich konkrete und umfangreiche Resultate. Vor dem Treffen war viel über Spannungen in der Koalition spekuliert worden. Sozialdemokraten warfen der Union einen zu rigiden Kurs vor. Die CSU polterte dagegen wider den angeblich zu laschen Umgang Merkels mit den Flüchtlingen. Dass Horst Seehofer bei dem Auftritt im Kanzleramt nicht dabei ist, deuten manche deshalb vorschnell als Ausdruck dieser Differenzen oder als Beleg für die schwindende Macht der CSU. Doch Seehofer fehlt nur, weil er zur Trauerfeier für ein ehemaliges Kabinettsmitglied nach Bayern muss.

Der Bund will den Kommunen beim Ausbau von winterfesten Quartieren helfen

Sieben Seiten ist das Beschlusspapier des Koalitionsausschusses lang. Es enthält manches, was vor allem der SPD ein Anliegen ist. Der Bund will drei Milliarden Euro "zur Bewältigung der Flüchtlings- und Asylsituation" ausgeben und den Ländern und Kommunen weitere drei Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Außerdem verspricht der Bund, Länder und Kommunen beim Ausbau von 150 000 "winterfesten Plätzen in menschenwürdigen Erstaufnahmeeinrichtungen" zu unterstützen. Der Bund will hierzu "alle verfügbaren Plätze in Bundesliegenschaften" auf Anforderung sofort und mietzinsfrei zur Verfügung stellen und die Kosten für die Herrichtung übernehmen. Wo keine brauchbaren Bundesliegenschaften zur Verfügung stehen, will der Bund "die Schaffung der erforderlichen Plätze finanziell angemessen unterstützen".

"Zum Teil atemberaubend": Kanzlerin Angela Merkel offenbart selten ihre Gefühle. Am Montag tat sie es bei einem Auftritt mit SPD-Chef Sigmar Gabriel. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die Koalition baut außerdem das deutsche Engagement bei der internationalen Krisenbewältigung und -prävention aus. Dafür soll der Haushalt des Auswärtigen Amtes um jährlich 400 Millionen Euro aufgestockt werden. Auch das dürfte die Sozialdemokraten freuen. Das gilt auch für das Versprechen der Koalition, den sozialen Wohnungsbau zu stärken und den Bundesfreiwilligendienst um 10 000 Stellen auszuweiten. Auf besonderen Wunsch der Sozialdemokraten soll es neue Alternativen zum Asylweg nach Deutschland geben. Für Bürger der Westbalkan-Staaten werden deshalb "Möglichkeiten der legalen Migration aus dem Herkunftsland zur Arbeitsaufnahme in Deutschland" geschaffen. Wer einen "Arbeits- oder Ausbildungsvertrag mit tarifvertraglichen Bedingungen" vorweisen kann, soll künftig in Deutschland arbeiten oder eine Ausbildung aufnehmen dürfen.

In vielen Punkten hat sich im Koalitionsausschuss aber die Union durchgesetzt. Vor allem die CSU hatte in den vergangenen Wochen gefordert, "Fehlanreize" für Flüchtlinge zu beseitigen. Einen Großteil ihrer Wünsche hat die Union jetzt erfüllt bekommen. So sollen die Bargeldzahlungen in Erstaufnahme-Einrichtungen künftig "so weit wie möglich durch Sachleistungen ersetzt werden". Die Höchstdauer zur Aussetzung von Abschiebungen wird von sechs auf drei Monate verringert. Auch die Sozialleistungen für Ausreisepflichtige ohne Duldung sollen reduziert werden. Dass bei der Bundespolizei in den kommenden drei Jahren 3000 zusätzliche Stellen geschaffen werden sollen, findet auch die SPD gut. Das gilt auch für die Aufforderung an die anderen EU-Staaten, deutlich mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Eine Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten haben die meisten Sozialdemokraten aber bisher abgelehnt. Kosovo, Albanien und Montenegro sollen künftig trotzdem zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Außerdem soll die Höchstdauer des Aufenthaltes in Erstaufnahme-Einrichtungen künftig bis zu sechs Monate betragen - entsprechend verlängert sich die Residenzpflicht, also die Beschränkung der Freizügigkeit der Flüchtlinge. Für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsländern verlängert sich der Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung künftig bis zum Ende des Verfahrens und der in der Regel darauf folgenden Abschiebung.

Wie schwer all diese Maßnahmen vielen Sozialdemokraten im Magen liegen, konnte man am Montag an einer Pressemitteilung der Juso-Vorsitzenden Johanna Uekermann ablesen. Die Beschlüsse der Koalitionsspitze brächten "untragbare Härten für Geflüchtete mit sich", formulierte sie. Die Ausweitung der sicheren Herkunftsländer, das teilweise Ersetzen von Bargeld durch Sachleistungen und die Verlängerung der Residenzpflicht bedeuteten "ein Einknicken vor unbegründeten Ängsten und Vorurteilen", so Uekermann. Leider habe sich "der CSU-Populismus" durchgesetzt. Nun könnte man das als ungestüme Einlassung der Parteijugend abtun - doch Juso-Positionen finden gewöhnlich durchaus Anklang bei Teilen der Parteilinken.

In der SPD dürfte es also noch Diskussionen über das Ergebnis des Koalitionsausschusses geben. Die vermeintlich schwache CSU kann dagegen ziemlich zufrieden auf die Ergebnisse blicken. Insofern konnte Seehofer am Montag leichten Herzens auf seinen Auftritt neben Gabriel und Merkel verzichten.

© SZ vom 08.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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