Justiz:Vier Jahre Haft im Auschwitz-Prozess

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70 Jahre nach seinen Taten ist der ehemalige SS-Mann Oskar Gröning verurteilt worden. Wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 300 000 Menschen im KZ Auschwitz soll er vier Jahre ins Gefängnis.

Von Hans Holzhaider, Lüneburg

- Wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 300 000 ungarischen Juden hat das Landgericht Lüneburg am Mittwoch den ehemaligen SS-Unterscharführer Oskar Gröning zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gröning war von 1942 bis 1944 in der Verwaltung des Konzentrationslagers Auschwitz eingesetzt, wo er das Geld der ermordeten Juden zählen und nach Währungen sortieren musste. Gröning ist daher zuletzt als der "Buchhalter von Auschwitz" bekannt geworden. Außerdem tat er Dienst an der Rampe, wo die Züge mit den Deportierten ankamen. Dort bewachte er deren Gepäck, um Diebstähle zu verhindern. Mit dem Urteil ging das Gericht ein halbes Jahr über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß hinaus.

Der 94 Jahre alte Gröning hatte seine Funktion in Auschwitz während des Prozesses als "Rad im Getriebe" bezeichnet und seine "moralische Mitschuld" eingeräumt. "Das ist genau das, was der Gesetzgeber als Beihilfe bezeichnet", sagte der Vorsitzende Richter Franz Kompisch in der Urteilsbegründung. Er hielt Gröning vor, dass er sich aus freiem Willen zum Dienst in der SS entschieden habe. Auschwitz sei eine auf die Tötung von Menschen ausgerichtete Maschinerie gewesen, deren zentrales Element "die Zergliederung des Tötungsvorgangs in viele kleine Teile war mit dem Ziel, dass niemand für alles verantwortlich sein sollte". Gleichwohl hätten alle gewusst: "Dies war etwas Verbotenes, Unmenschliches, beinahe Unerträgliches", sagte Kompisch.

Harsche Kritik übte Kompisch an der jahrzehntelangen Praxis der deutschen Justiz, nur die direkte Mitwirkung an einer Tötungshandlung als Beihilfe zum Mord zu bewerten. Das sei vergleichbar mit dem, was bei der Planung der Konzentrationslager geschehen sei. "Man hat das Gesamtgeschehen zergliedert und in Einzelteile zerlegt. Das war eine, wie wir finden, seltsame Rechtsprechung", sagte Kompisch. Das Gericht wolle aber "nicht den Stab über verstorbene Kollegen brechen".

Zu Grönings Gunsten sprächen sein Geständnis und die Tatsache, dass er sich trotz Gesundheitsproblemen dem Verfahren gestellt habe. Angesichts seines Alters sei es unwahrscheinlich, dass er die Haft überlebe. Der Erlass eines Teils der Strafe wegen Verfahrensverzögerung komme nicht infrage: "Davon kann keine Rede sein, wenn einer in den ersten 30 Jahren nach der Tat überhaupt nicht verfolgt wird". Ob Gröning die Haftstrafe antreten muss, falls das Urteil rechtskräftig wird, entscheidet die Staatsanwaltschaft.

Mehrere Anwälte begrüßten das Urteil im Namen der von ihnen vertretenen Nebenkläger: "Es erfüllt uns mit Genugtuung, dass nunmehr auch die Täter Zeit ihres Lebens nicht vor einer Strafverfolgung sicher sein können." So wurde am Mittwoch vor dem Landgericht Hanau ein 92 Jahre alter ehemaliger Wachmann von Auschwitz wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Da der Beschuldigte zur Tatzeit Heranwachsender war, wurde die Anklage vor der Jugendkammer erhoben.

© SZ vom 16.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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