Justiz:"Missstände"

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"Stoppt die Invasion: Migration tötet" steht auf einem NPD-Plakat, und ein Richter hält dies nicht für Volksverhetzung. In seinem Urteil bemüht er sogar die alten Römer.

Von Robert Probst

Der Richter am Verwaltungsgericht Gießen hat sich viel Mühe gegeben. Jedes einzelne Wort hat er einer Exegese unterzogen und zahlreiche Beispiele herangezogen, zurückreichend bis zu den alten Römern. Die Worte, die zu interpretieren waren, standen auf einem NPD-Wahlplakat zur Europawahl: "Stoppt die Invasion: Migration tötet! Widerstand - jetzt". Die hessische Gemeinde Ranstadt hatte die Plakate abhängen lassen; Begründung: Volksverhetzung. Das war keine gute Idee, befand der Richter und gab der NPD recht: "Nach vorstehenden Ausführungen ist der Wortlaut des inkriminierten Wahlplakats des Klägers ,Migration tötet' nicht als volksverhetzend zu qualifizieren, sondern als die Realität teilweise darstellend zu bewerten." So steht es in seinem Urteil vom 9. August, über das jetzt das Redaktionsnetzwerk Deutschland und das juristische Magazin Legal Tribune Online  berichteten.

Laut der Urteilsbegründung habe die Zuwanderungsbewegung nach Deutschland seit dem Jahr 2014/2015 zu einer Veränderung innerhalb der Gesellschaft geführt. "Allein dem erkennenden Gericht sind Fälle bekannt, in denen Asylbewerber zu Mördern wurden", dann folgen zahlreiche Beispiele. Dies könne auf lange Sicht auch zum "Tod der freiheitlich demokratischen Grundordnung" führen. Sollte die Bundesrepublik nicht mehr in der Lage sein, das Gewaltmonopol innerhalb ihrer Grenzen auszuüben, sei hiermit ein "schleichender Untergang" verbunden, "wie es einst im römischen Weltreich auch der Fall war". Die Geschehnisse im Jahr 2015 seien "mit dem landläufigen Begriff der Invasion vergleichbar" und beinhalteten keine Wertung.

Das Fazit des nach Recherchen von Legal Tribune Online einschlägig bekannten Richters, der das Urteil allein gefällt hat: "Es kann daher dem Kläger nicht verwehrt sein, mit den inkriminierten Plakaten auf möglicherweise in Deutschland herrschende Missstände hinzuweisen und für ihre Ziele zu werben." (Az.: 4 K 2279/19.GI)

Die Gemeinde hat Berufung eingelegt. Nun ist der Hessische Verwaltungsgerichtshof am Zug. Das Verwaltungsgericht Dresden übrigens hatte der Stadt Zittau, die ebenfalls diese NPD-Plakate abhängen ließ, recht gegeben.

© SZ vom 02.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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