Justiz:Mal zackig, mal zögerlich

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Dieselbann hier, freie Fahrt dort: Warum sich die Verwaltungsgerichte im Bundesgebiet so unterschiedlich verhalten, wenn es um die Beurteilung von Fahrverboten geht.

Von WOLFGANG JANISCH, Karlsruhe

Seit das Bundesverwaltungsgericht im Frühjahr den Weg für die Verhängung von Fahrverboten frei gemacht hat, wird der Streit um saubere Luft verstärkt vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen. Für Frankfurt wurden Fahrverbote verhängt, in Aachen halten die Richter einen Dieselbann für nahezu unausweichlich, in Stuttgart dringt das Gericht auf eine Ausweitung bereits verhängter Verbote. In München liefert sich der Verwaltungsgerichtshof (VGH) ein Kräftemessen mit der Regierung - verlangt aber nur, die "Möglichkeit" von Fahrverboten vorzusehen. In Düsseldorf indes fanden die Richter, das Land habe Verbote "ernstlich" geprüft; mehr sei nicht notwendig.

Warum üben die Verwaltungsgerichte mal Zurückhaltung, während sie anderswo gleichsam durchregieren? Letzteres ist eigentlich gar nicht ihr Job. Sie kontrollieren behördliche Maßnahmen, sie achten darauf, dass der Staat rechtmäßig handelt - lassen der Verwaltung dabei aber ihren Spielraum. Richter wachen über die Einhaltung von Regeln, Beamte und Politiker entscheiden, wie man zweckmäßig vorgeht. Es ist eine Arbeitsteilung zwischen Justiz und Verwaltung: Die einen setzen den Rahmen, die andern füllen ihn aus.

Umweltschützer sind sich einig beim Dieselbann - Gerichte oft nicht. (Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)

Die Verhängung von Fahrverboten anzuordnen, liegt also nicht wirklich in der Natur der Verwaltungsgerichte. Denn solche Verbote sind Teil von Luftreinhalteplänen, die das Land aufstellt - und die Luft könnte man, jedenfalls in der Theorie, auf vielerlei Weise sauberhalten. Mehr Park&Ride-Angebote, neue Busflotten - die Stichworte finden sich in den Gerichtsentscheiden. 20 neue Maßnahmen enthielt der Luftreinhalteplan von 2017 für Stuttgart. Den Gerichten hat das trotzdem nicht gereicht.

Denn in der Praxis mussten die Gerichte feststellen, dass seit Langem verbindliche Grenzwerte nicht eingehalten werden. Gutachter bescheinigten, der einzig denkbare Weg, die Werte zu drücken, seien Fahrverbote. Und weil es eben nicht um Geruchsbelästigung von Großstadtbürgern beim Nachmittagstee geht, sondern um echte Gesundheitsgefahren durch Stickoxid, zogen die Richter die Notbremse. Die Justiz muss, wenn man so will, das Versagen von Politik und Verwaltung ausbügeln.

Warum aber agieren die Richter, trotz gleicher Regeln, hier zackig und dort zögerlich? Erstens ist die Ausgangssituation nicht in allen Städten identisch. Selbst wenn der Grenzwert um exakt denselben Wert überschritten wird, können in einer Stadt neunzehn kleine Korrekturen ausreichen, während hundert Kilometer weiter nur die Nummer 20 greift, das harte Verbot. Eines lässt sich aber beim Thema Diesel ebenfalls nicht übersehen: Die Richter interpretieren ihre Rolle unterschiedlich. Den Traditionalisten unter ihnen ist die Vorstellung fremd, sich zu sehr in behördliches Ermessen einzumischen. Andere wiederum denken aktivistischer, nach dem Motto: Wenn die Politik es nicht hinkriegt, müssen wir es halt machen.

Sichtbar wurden solche Unterschiede etwa in den beiden Fällen, die im Frühjahr in das Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts mündeten. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte vom Land NRW lediglich eine "differenzierte Auseinandersetzung mit der besonderen Problematik von Dieselfahrzeugen" gefordert und das Thema Fahrverbot mal so in den Raum gestellt. Das Gericht in Stuttgart sprach dagegen Klartext: Das Verbot sei die effektivste Maßnahme, daran führe kein Weg vorbei. Resultat: In Stuttgart wird es von 2019 an Fahrverbote geben, in Düsseldorf nicht. München ist hier ein Sonderfall, denn im Clinch zwischen VGH und Regierung geht es lediglich um ein Vollstreckungsverfahren zu einem Urteil von 2012. Weil damals eben nicht explizit ein Fahrverbot angeordnet worden war, sondern nur die "erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung" der Grenzwerte, kann der VGH das Fahrverbot nicht einfach posthum an das damalige Urteil dranhängen; dazu wäre ein neuer Prozess erforderlich. Im Ergebnis könnte der Druck, den der VGH nun ausübt, freilich auf dasselbe hinauslaufen.

© SZ vom 10.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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