Justiz:In der Hand des Gerichts

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Die Bürger in Hannover müssen nach der Sommerpause vorzeitig einen neuen Oberbürgermeister wählen - und der Amtsinhaber wegen Untreue vor Gericht.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Stefan Schostok (SPD), Oberbürgermeister von Hannover, tritt zurück, nachdem ihn die Staatsanwaltschaft angeklagt hat. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Den 1. Mai 2019 haben sich die Genossinnen und Genossen in Hannover vermutlich anders vorgestellt, auch wenn tags zuvor immerhin ein Befreiungsschlag stattgefunden hatte. Am Dienstag teilte SPD-Oberbürgermeister Stefan Schostok, 54, in einem kurzen Statement im wilhelminischen Rathaus mit, dass er in den Ruhestand versetzt werden wolle. Seine erwartete Rücktrittserklärung kam also eine Woche nach der Anklage gegen ihn: Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Untreue in einem besonders schweren Fall vor. Nach den Sommerferien soll nun Schostoks Nachfolger gewählt werden. Seine reguläre Amtszeit hätte bis 2021 gedauert.

Die Justiz beschuldigt Schostok, von überhöhten Gehaltszahlungen gegen leitende Angestellte der Stadt gewusst zu haben, auch zwei städtische Spitzenbeamte werden beschuldigt. "Ich war und bin mir keines Fehlverhaltens bewusst, aber die Entscheidung darüber liegt nun beim zuständigen Gericht", sagte Schostok in seiner Erklärung, die nicht übermäßig selbstkritisch klang. Unabhängig davon habe er nicht mehr die Unterstützung des Rates, und ohne die "kann ein Oberbürgermeister nicht mehr uneingeschränkt zum Wohle der Stadt und ihrer Menschen arbeiten".

Tatsächlich muss nun das Landgericht Hannover darüber befinden, ob es ein Hauptverfahren gegen Schostok und die zwei anderen Angeklagten eröffnet. Die Staatsanwaltschaft hat monatelang ermittelt, es wurden unter anderem auch Schostoks E-Mails und sein Smartphone untersucht. Es geht um vorläufig insgesamt ungefähr 64 000 Euro, die sein ehemaliger Büroleiter Frank Herbert und der frühere Chef der städtischen Feuerwehr bekommen haben sollen. Eine Schlüsselrolle spielt der suspendierte Kultur- und vormalige Personaldezernent Harald Härke, von dem es heißt, er habe zunächst versucht, seiner Lebensgefährtin einen Job bei der Stadtverwaltung zuzuschanzen. Als das aufflog, sollen vertrauliche Unterlagen in Umlauf geraten sein. Härke wurde wegen Geheimnisverrats angezeigt, so begannen die Recherchen der Staatsanwaltschaft.

Eine verworrene Geschichte - jetzt sucht Hannover nach Klarheit. Im Oktober 2013 war der diplomierte Sozialpädagoge Schostok zum OB gewählt worden, zuvor hatte er die SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag geleitet. Seit fünfeinhalb Jahren führt er die gut 530 000 Einwohner von Deutschlands Großstadt Nummer 13 - "mit ganzer Kraft und nach bestem Wissen und Gewissen", wie er sagte. "Dies gilt bis heute und galt auch in jüngerer Zeit uneingeschränkt." Doch die Rathausaffäre schwelt bereits seit Monaten, und mit der Anklageerhebung hatten dann auch Schostoks SPD sowie die beiden Koalitionspartner FDP und Grüne genug. Sie entzogen ihrem Frontmann endgültig das Vertrauen.

Für die Rente ist der gestürzte Oberbürgermeister, geboren im Mai 1964, recht jung. Doch die Niedersächsische Kommunalverfassung lässt eine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand zu, am 16. Mai will Hannovers Stadtrat darüber befinden. Danach würden Neuwahlen binnen sechs Monaten ausgeschrieben, Schostok stünden fürs Erste künftig mindestens 35 Prozent seiner Bezüge von derzeit etwa 11 000 Euro im Monat zu. So endet dann die politische Karriere dieses Sozialdemokraten, der unter anderem Ehrenbürger von Hiroshima ist. Kommissarisch würden seine Stellvertreter die Amtsgeschäfte führen, die Suche nach Anwärtern für den OB-Job ist im Gange. Zu den möglichen Bewerbern der SPD gehören dem Vernehmen nach der Bundestagsabgeordnete Matthias Miersch und Bürgermeister Thomas Hermann. Und die CDU hofft nach 73 Jahren auf einen Machtwechsel.

Seit 1946 regiert die SPD Hannover, es ist eine rote Bastion wie Bremen. Schostoks Vorgänger im Stadtpalast war Stephan Weil, der heutige Ministerpräsident. Schostok habe "Hannover Monate der Ungewissheit erspart und die Chance für einen Neuanfang eröffnet", sagt Weil. Er hätte auf den Fall Schostok sicher gerne verzichtet.

© SZ vom 02.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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